Tagebuch einer Reise

22. November 2014, Samstag

Landung
Meine Ohren taten weh. Wir waren im Anflug auf Catania. Der Ätna lag im Schatten, nur der schneebedeckte Gipfel strahlte im hellen Licht der Sonne. Wie zerzupfte Watte lagen die Wolken unter uns, dazwischen die Farben der Felder, braun, grau und beige. Nur ganz wenig hellgrün, das langsam zusammengedrängter und dunkler wurde, bis ich die Orangenbäume erkannte. Auch die Häuser sah ich immer deutlicher, zuerst nur einzelne Gehöfte, dann kleine Dörfer und als meine Ohren ganz taub waren, die Silhouette von Catania. Tano meinte, von dieser Seite sind wir noch nie gelandet.
Signor Zappala war pünktlich am Flughafen. Wir kannten ihn schon von unserem letztjährigen Aufenthalt. Ganz vornehm klingt unsere Adresse: Palazzo Zappala in der Via Zappala. Unser Eingang aber war auf der Rückseite des Hauses in der Via Gisira, eine Gasse inmitten der Pescheria.

Der erste Kaffee
Die Koffer noch nicht ausgepackt, machten wir uns auf den Weg durch das Marktgetümmel und schon nach zwei Ecken lag vor uns der Dom und hinter uns in der Ferne das Garibalditor.
Auf der Piazza del Duomo nahmen wir unseren erste Kaffee. Ganz nach vorne wollte ich mich setzen, damit ich freien Blick zum Dom und zum Brunnen, Fontana dell ́Elefante, hatte.
Das war nicht so gut. Hintereinander klimperten uns zwei Ziehharmonikaspieler etwas vor und die gleiche alte Bettlerin vom letzten Jahr murmelte die gleichen Worte wie damals, Monete und manciare.

Touristeninfo
Nachdem wir für unser italienisches Telefonino eine neue Karte kauften, gingen wir zum Touristenbüro in der Via Vittorio Emanuele. Wir erkundigten uns über Caltagirone, die Stadt, die wir bald mal besuchen wollten. Damit überfragten wir die zwei Damen des Büros. Nur für Catania seien sie zuständig. Nachdem Tano auch noch nach Ausstellungen in der Stadt fragte, waren sie völlig überfordert.

Kulturzentrum
Selbst ist der Mann, sagte Tano zu mir. Wir spazierten die Via Vittorio Emanuele weiter und nach etwa hundert Metern kamen wir zum Palazzo della Cultura. Gleich zwei Ausstellungen waren dort zu sehen. Von der Größeren konnten wir uns fast nicht mehr trennen. Die Räume, die Bilder, die Plastiken und besonders der catanesische Künstler Pippo Failla waren ein Gesamtkunstwerk. Wir versprachen noch mal zu kommen.

Abendspaziergang
Am späten Nachmittag schlenderten wir entlang der Via Etnea. Sie führt vom Domplatz in Richtung Ätna.
Einmal, als unsere Luisa mit ihrer Familie dabei war, spukte der Ätna. Eine Stunde lang standen wir spät abends auf der Via Etnea und beobachteten wie die rotglühende Magna sich langsam nach unten wälzte. Gustav war noch klein und wollte gar nicht mehr weg. Er hatte aber auch den bequemsten Platz auf den Schultern seines Vaters.
Wenn ich die Schaufenster der Geschäfte der Via Etnea betrachte, finde ich keinen Unterschied zu anderen großen Städten; eine Fußgängerzone wie überall, die gleichen bekannten Marken und Reklame in Englisch. Man muss den Kopf hoch strecken oder tief senken, dann sieht man das Besondere, oben die schönen Fassaden im verschnörkelten sizilianischen Barock in schwarzweißer Bauart und am Straßenboden die wuchtigen, großen Lavasteine, glatt abgeschliffen von den Füßen der Bewohner.
Tano sieht aber noch eine Abweichung, nur hübsche schlanke Frauen habe die Chance als Verkäuferinnen eingestellt zu werden.

Alte Postamt
Angekommen am Bellinigarten „Giardino Bellini“, aßen wir noch eine Pizza. Dabei fiel mir auf, dass das alte Postamt gerade renoviert wird. Ich staunte, dass das Haus aus weißem Stein erbaut ist. Dachte ich doch immer, es sei ein Bau aus ergrauter Lava. Nur die Figuren und der Sockel sind aus Lava. Aber was ich nicht verstehe ist, warum das wunderschöne Jugendstil-Gitter am Eingang mit einem hässlichen Stakentor ersetzt wurde?

 

23. November 2014, Sonntag

Im Dom
Wieder tranken wir auf der Piazza Kaffee. Die Glocken des Doms läuteten zur Messe und wir folgten der Einladung. Viele Leute waren es nicht, dünn der Gesang und unverständlich das Gemurmel der Andächtigen. Aber dann weckte der Prediger die ganze, fromme Gemeinde auf. Er sprach laut und mit Händen und Füßen (die man unter dem Podium natürlich nicht sah), verdrehte den Körper und verzog das Gesicht. Eine Wiedergeburt von Abraham a Santa Clara, der berühmte Prediger der Barockzeit, kam mir in den Sinn.
Vor der Kommunion erklärte er den Gläubigen, dass die Hand rein und gut ist. Wir brauchen sie zur Arbeit, zum Helfen und zum Streicheln der Kinder und man kann damit auch die Kommunion empfangen. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann die Handkommunion bei uns eingeführt wurde.

Selbst gebauter Pizzaofen
Mittags holten uns Marisa und Alfonso zum Pizzaessen ab. Sie wohnen in Misterbianco, 14 Kilometer von Catania entfernt, aufwärts zum Ätna.
Alles war herrlich, das sommerliche Wetter, die Kulisse, der Ausblick zum Meer, der Teig, das Feuer, die Pizza und die Stimmung. Das Olivenbaumholz zum Heizen des selbstgebauten Pizzaofens war für mich zu kostbar. Alfonso tröstete mich und gab mir hundertjähriges Wurzelholz mit und pflückte für uns Orangen und Mandarinen aus seinem Garten.

Shampoonierte Straße
Die Marktstände auf unserer Straße war früh nachmittags schon weggeräumt. Zurück blieb eine Unmenge von Müll, ein Durcheinander aus Gemüseabfällen, Schachteln und Kisten. Bis die Müllabfuhr kam, besetzten die Möwen und Tauben den Platz. In Handarbeit trennten dann die Arbeiter den Abfall und fegten die Straße. Was jetzt kam war schon etwas eigentümlich. Ein Fahrzeug shampoonierte die Straße, um sie anschließend zu waschen. Unser Zimmer im ersten Stock roch nach Bad.

Christo Re
Unser Abendspaziergang war kurz. Die Domtüren waren weit geöffnet, die Kirche hell erleuchtet. Viele Kirchgänger, Frauen wie Männer, waren weiß verkleidet, mit Fezhüten, wie ich sie aus dem Orient kenne, und Stangen mit christlichen Symbolen. Christo Re bekam Tano als Antwort auf seine Frage. Der Sinn der Kleider erschloss sich uns nicht. Heute muss Christkönigsfest sein, fiel mir ein.

Herrlicher Duft
Vorm Bettgehen schälte Tano eine Mandarine. Für mich war sie noch unreif und sauer, aber ein unsagbarer Duft erfüllte unser Zimmer und verdrängte den Badgeruch. Die Hände wollte ich mir nicht waschen.

 

24. November 2014, Montag

Catanesische Zustände
Von Pontius bis Pilatus schickte man uns, aber nach drei Stunden saßen wir schließlich im Bus nach Caltagirone. Catanesische Zustände, sagte der Busfahrer, als Tano ihm erzählte, dass wir sogar bei der Touristeninfo der Region keine Antwort
zur Busverbindung bekamen. Obwohl die Damen ganz vertieft am Computer saßen, war Ast – Azienda Siciliana Transporti – ein zu langes Wort zum Tippen.

Der Hafen
Auf unseren Irrwegen machten wir am Hafen Halt. Gerade in diesem Moment legte ein kleines Fischerboot an. Zwei große Wasserbehälter mit unzählig kleinen Fischen
wurden ans Land gehievt. Tutti Masculini, sagte Tano. An dem Wort Masculini erkennt man, wer ein Sizilianer ist. Für den Rest der Italiener sind es Alici, Sardellen für mich. Salzgepökelt, dann als Acciuge auf der Pizza, da trennen sich Tanos und mein Geschmack.
Unzählig waren auch die Möwen, die auf dem Dach des nahe liegenden Hauses saßen. Ich dachte zuerst an weißgekachelte Dachziegeln. Weiß-schwarz gepünktelt war der Boden vom Möwendreck.

Die Fahrt durchs Land
26 Minuten dauerte es, bis wir an der Stadtgrenze waren. 60 Kilometer nach Caltagirone, las ich auf einem Wegweiser. Der Busfahrer hatte eine Hand auf dem Lenkrad und eine auf der Hupe. Nicht nur bei Kurven und Überholungen warnte er, nein, jeden Freund, den er am Straßenrand sah, hupte er zu.
Wir brauchten lange, bis wir die steilen Straßen von Caltagirone und am Schluss die 142 Stufen der Scala S. Maria del Monte erklommen hatten. Da jede Treppenstufe mit Figuren bemalten Majolikakacheln eingefasst war, hatte ich eine gute Ausrede, ich brauchte Zeit zum Betrachten.

Tanos Schule
Außer Atem standen wir dann vor der ehemaligen Internats-Schule St. Agostino.
Vor 68 Jahren stand Tano, als 6-jähriger Bub vor dem riesengroßen, dreistöckigen Viereckbau. Er erhielt damals einen wertvollen Freiplatz, sein Vater war 1944 gestorben und hinterließ seiner Mutter fünf Kinder.

Vergebens und traurig suchten wir nach einem Eingang. Ein alter Mann erinnerte sich, dass die Salesianer Don Boscos der Schule seit 1960 nicht mehr in der Stadt sind und das Haus jetzt renoviert wird. Mehr konnten wir nicht erfahren. Tano fragte sich, was aus den vielen Klassenfotos wurde, die in den Korridoren ausgestellt waren.

Keramikstadt
Caltagirone ist als Keramikstadt bekannt, Museum und Geschäfte interessierten mich aber nicht mehr. Ich machte noch Fotos von Krippenfiguren in einem Schaufenster und dann gingen wir zum Bus, früher als geplant.

Unser Beschützer
Ein seltsames Erlebnis hatten wir, als wir durch den großen Stadtgarten zurückgingen. Nur wir, ein fremder Mann und ein herrenloser großer weißer Hund waren unterwegs. Zähne fletschend und mit großem Gebell zog der Hund an den Kleidern des Fremden, der schnell den Park verlies. Ganz ruhig, innerlich aber angespannt gingen wir weiter, der Hund blieb bei uns und verfolgte uns mit Abstand. Erst als wir auf der belebten Straße waren kehrte er zurück. Es war, als wollte der Hund uns beschützen.

Landschaft mit Augen eines Künstlers
Versöhnt mit der Welt, genoss ich bei der Rückfahrt die Landschaft.
Ein Szenarium für einen Maler, dunkelgrün die Zitrusbäume mit orangen Früchten, hellgrün die Kakteen mit den roten Ficodindias, silbergrau die Olivenbäume und blaugrün die Artischocken. Die Hügel rundherum waren braun und grau, weiß die Häuser der Städte Mineo (einer ehemaligen arabischen Festung) und Pallagonia (normannischen Ursprungs). Erstere liegt idyllisch hoch am Berg, die andere geschützt in einer Talsenke.
Ein Zeichner würde wahrscheinlich eher die Blätter des Rizinusstrauches wie Sterne skizzieren und die Palmen wie Engelflügel.

Banken und Afrikaner
Am Abend schlenderten wir noch auf der breiten Corso Sicilia hin und her. Es ist am Tag die Straße der Banken und am Abend die Straße der Afrikaner mit ihren zusammenklappbaren Verkaufsständen.

 

25. November 2014, Dienstag

Der Brunnen
Vormittags gingen wir zu der schönsten Straße Catanias, der Via Crociferi, vorbei am Bellinimuseum, dem Ort, an dem Tano seine Kindheit verbrachte. Den Brunnen mit dem stets fließenden Trinkwasser gab es damals schon. Durst hatten wir nicht, doch aus Nostalgie nahmen wir einen Schluck.
Als das Museum gebaut wurde, musste die Familie aus der Wohnung. Tanos Bruder meinte, eine Wohnung war es einst sowieso nicht, es war eher eine düstere Katakombe.

Kloster der Benediktinerinnen
Am Anfang der Via Crociferi überspannt ein Bogen die Straße und verbindet dadurch das rechts liegende kleine Kloster, das ehemalig Santa Maddalen, mit dem großen der anderen Seite, dem Kloster der Benediktinerinnen der ewigen Anbetung. Nach dem großen Erdbeben wurden die beiden Klöster vereint und der Übergang wurde 1704 gebaut, in einer Nacht, wie die Legende sagt. Erst seit kurzer Zeit sind das renovierte Kloster und die Klosterkirche für Besucher geöffnet. Im Besucherzimmer konnten wir die eng vergitterten Wandeinschnitte sehen, welche die einzige Verbindung zur Außenwelt waren.
Es war eine gute Sache, dass ich den Audioguide auf Deutsch stellen konnte. Sehr verständlich wurde die Kirche erklärt. Besonders spannend fand ich die Erläuterung der Lünetten über den Fenstern, die Barockkünstler konnten damit abstrakte Begriffe wie Glaube, Stärke, Mäßigkeit bildlich darstellen.
Ob es die Nonnen noch gibt, fragte ich mich. Kurz darauf sah ich in der Kirche drei Schwestern. Im Zeitlupentempo und ganz bedächtig stellten sie eine Kerze auf. Wahrscheinlich gehen hier die Uhren langsamer.

Macs
Das Kloster an der linken Seite, die Badia piccola, ist jetzt abgetrennt und zu einem Ausstellungsraum für zeitgemäße Kunst umgebaut. Es nennt sich MACS, eine Abkürzung von Museo Arte Contemporanea Sicilia.
Das derzeitige Thema der Ausstellung „Ad Imaginem Suam“ verstand ich nicht ganz. Die Bilder und Plastiken hatten vermutlich ein mittelalterliches Mysterienspiel als Hintergrund.

Pippo Failla

Nachmittags besuchten wir noch mal den Künstler Pippo Failla. „Il disegno per la materia“ war hier der Titel der Ausstellung. Wie soll ich es übersetzen? Der Entwurf der Materie?
Ich durfte den Meister und seine Werke fotografieren und er erlaubte mir, die Fotos in meinen Blog zu stellen. Seine Bilder, ich schätze an die hundert, erinnern mich an unseren Tal-Künstler Hans Reiser.
Pippos Figuren leben, ob gezeichnet und geformt, ob als Federzeichnungen, Terrakottafiguren oder Bronzeplastiken. Sie sind ironisch und surreal, frech und innig zugleich. Die nackte Brust wird zum Symbol des Lebens, die Früchte zeigen die Liebe zu seiner Heimat Sizilien. Ausgelatscht zeichnete er Schuhe, der Schalk sitzt ihm im Nacken.
Er schenkte uns einen Katalog. Ich hatte nur ein kleines, selbst gemachtes Pfeiferl in der Tasche. Er meint er könnte noch eins für seine Frau brauchen. Wir werden ihn noch einmal besuchen. Alle guten Dinge sind drei. Pippo Failla ist ein junger Künstler mit seinen 81 Jahren.

Die Zeichnungen hatten alle den Titel: „Ohne Titel“   Ob die Plastiken Titel hatten erinnere ich mich leider nicht mehr.

o-la–lei-de
Abends waren wir erneut eingeladen, wieder in Misterbianco, diesmal bei Elvira in einem anderen Stadtteil.
Als wir mit dem Auto abgeholt wurden, stimmte uns Elviras Enkelin Giorgia lautstark mit dem Lied „Heidi il tuo nido e´sui monti ho-la-lei-de“ ein. Heidi, deine Welt sind die Berge, sangen schon meine Kinder als sie klein waren und „Heidi“ war der erst Film, den ich als Kind sah.
Es wurde ein wunderschöner Abend. Elvira ist ausgerüstet für Familientreffen, ein langer Tisch ist das Herz der Küche. Und es gab reichlich Platz für uns 11 Erwachsene, für vier Kinder und für die vielen sizilianischen Schmankerln, Scacciata mit Broccoli, Scacciata mit Käse, Muscheln, hauptsächlich Fische, viele Käsesorten, Oliven und Obst. Francesco brachte eine große Flasche Wein mit, den alle dann sehr lobten. Es wurde viel geratscht über Vergangenes und Zukünftiges, wie schlecht es früher war, wie schlecht es jetzt geht, und dass alles noch schlechter wird, über Sizilien, Italien und Deutschland. In der großen Welt war Elviras Schwiegersohn mit seinem Smartphone.
Gleicher Meinung waren wir alle, dass das zubereitete Essen von Elvira ausgezeichnet war und Tano meinte, dass Giorgia, Chiara, Marika und Giuseppe die schönsten Kinder sind, die er kennt.
Vor zwei Jahren war noch Salvo unter uns. Die Welt drehte sich weiter.

 

26. November 2014, Mittwoch

Herborarium – Herbarium
Weit kamen wir gestern auf der Via Crociferi nicht, das holten wir heute nach. Das Museo Herborarium fiel uns schon einmal am Abend auf. Wir sahen durch die Fenster Frauen, die vermutlich einen Malkurs besuchten. Jetzt waren wir die einzigen Besucher. Es ist ein kleiner Ausstellungsraum. Wir sahen alte Apothekergeräte, Salben- und Kräutergefäße aus Caltagirone, filigrane Waagen, Gewichte, deren kleinste Einheit das Gewicht eines Pfefferkorns hatte, viele Bilder von Kräutern und Teesorten.
Ein junger Mann, voller Idealismus, erklärte uns die ganzen Dinge. Dabei bot er uns eine Kännchen Tee an, er stellte uns viele Sorten vor. Bei den viele Namen auf Italienisch, schnell gesprochen, blieb bei mir nur das Wort Rooibos hängen, also bestellte ich Rooibostee mit Zimt, Tano war es egal, Kaffee hätte er lieber gehabt.

Steuerfandung
Gleich um die Ecke sollte in der Carserma della Guardia di Finanza (Kaserne der Steuerfandung) eine Ausstellung von Filippo Liardo sein, so lasen wir es auf einem Plakat. Das kann nicht sein, meinte Tano, er sei doch dort ganz in der Nähe aufgewachsen und hat noch nie gehört, dass dort die Finanzpolizei ihr Haus hätte.
Falsch, wir mussten nur einen großen Hinterhof überqueren und zum Hinter-Hinterhof gehen.
Wir hörten den Namen des Künstlers zum ersten Mal. Er wurde 1834 in Leonforte bei Enna geboren, seine Eltern stammten aus Catania. 1917 starb er in Frankreich. In der Ausstellung waren die ersten Zeichnungen aus seinem Heimatort zu sehen, Szenen aus dem dortigen Leben, wie z.B. vor dem Theater. Die späteren Bilder zeigten Schauplätze und Garibaldini während den Feldzügen mit dem Freiheitskämpfer Garibaldi.
Sehr zuvorkommend waren die Betreuer der Ausstellung und beantworteten Tanos Fragen. Mir zeigten sie die Bilder aus dem Deutsch-Französischen Krieg 70/71.
Tanos bayrische Joppe mit der Seelaubstickerei am Rücken bahnten am Schluss noch nette Gespräche an, über Bayern und Sizilien.

Kinderrechte
50 Meter weiter auf der Via Crociferi ist die Chiesa Francesco Borgia. Dieser Francesco war ein Jesuit aus der berüchtigten Familie der Borgia. Ich glaube, die barocke Kirche wird nur noch als Museum genützt, den jedes Mal wenn wir vorbei kamen, war dort eine Ausstellung. Wir schauten nach. Es ging um die Rechte der Kinder. Alte Kinder- und Schulbücher waren zu sehen.
Ich freute mich als ich das Buch mit dem Titel Cuore von Edmondo De Amicis entdeckte. Tano erzählte mir schon öfters, wie gerne er das Buch als Kind hatte. Er bekam es einmal für eine gute Schulleistung.
Eine Anleitung zum Weben mit Papierstreifen fand ich in einem aufgeschlagenen Buch. Ich kannte die gewebten Bildchen noch aus meiner Kinderzeit und aus den hintersten Ecken der Schubläden in den Kindergärten. Es war ein „Album per la conservazione lavori froebelioni“, ein Album zum Aufbewahren von Fröbelarbeiten. Friedrich Fröbel, den Begründer des Kindergartens, kennt jede Erzieherin.

Brokkoli
Als wir am Montag bei Marisa waren und Alfonso mich durch seinen Garten führte, zeigte er mir die großblättrigen Brokkolipflanzen. Die Blüten waren noch klein. Sie werden geschnitten, wenn er uns zum Familienessen einlädt. Zu schade, sie müssen noch wachsen.

Heute am Mittwochabend holte er uns ab. Es gab Brokkoli aus dem Eigenanbau. Die arme Marisa, sie hatte sicher den ganzen Tag in der Küche gestanden. Die Nudeln zu Beginn bereitete sie auf zweierlei Art zu, einmal als Penne all´arrabbiata und einmal als Pasta con Funghi. Die Artischocken füllte sie einmal mit Käse und den Rest mit Semmelbrösel. Marisa kennt Tanos Leibspeise, es gab Maskulini a beccafigu und Triglie. Alle, wir waren zu elft, bemitleideten mich, weil ich keine Fische mag. Ich kam aber nicht zu kurz, bis Mitternacht war ich am Essen.

Für die drei Schulkinder und die jungen Männer wurde es eine kurze Nacht. Für uns war es ein wunderschöner Abend, wie gestern auch. Eine Einmaligkeit, wenn ich bedenke, dass wir bei den Nichten eingeladen waren. Für die Jüngsten sind wir Urgroßtante und Urgroßonkel. Daheim in Deutschland habe ich meine Nichte und meinen Neffen seit ihren Kindertagen nicht mehr gesehen.

Dilan der jüngste der Familie schenkte mir zwei kleine Eier, sie waren für ihn sehr kostbar. Es waren die ersten, die sein Zwerghuhn gelegt hatte. Er verstand nicht ganz, warum ich sie nicht mitnehmen wollte. Der Wille gilt für die gute Tat. Ein Foto wird mich stets an sein liebes Geschenk erinnern.

 

27. November, Donnerstag

San Nicolá und Monastero dei Benedettini
Wir hatten uns vorgenommen, zur Kirche San Nicolá und zum dazugehörenden ehemaligen Benediktinerkloster zu gehen. Nur kurz, ein wenig bummeln, dachten wir, um wieder einmal die astronomische Sonnenuhr in der Kirche betrachten zu können. Vor 11 Uhr waren wir dort, denn um 12 Uhr, wenn der Sonnenstrahl durch die Dachluke exakt auf die Linie des Meridians scheint, zeigt er auf dem Fußboden der Kirche den genauen Tag und das Monat an.


Der Himmel war etwas trüb, so warteten wir nicht mehr und schlenderten hinüber zum Kloster. Als ich es 1969 zum ersten Mal sah, waren dort Privatwohnungen, Turnhallen und eine Sternwarte. In einem der nächsten Jahre sahen wir Archäologen und Arbeiter, die den Boden vor dem Klostergebäude freilegten. Jetzt sieht man tief unter der Oberfläche einen Abschnitt einer römischen Straße.

Ganz neu war ein Infopoint mit einem Buchshop. Was hatten wir für ein Glück! Eine Führung durch das Kloster wurde angeboten. Viele junge Leute warteten im Hof. Es wird eng werden, dachte ich, als der Führer kam.

Letztendlich schlossen sich uns nur drei Besucher an. Die Führung war wunderschön und spannend, der Führer großartig und wir fünf Leute glücklich. Ich verstand leider nicht alles, aber allein die Atmosphäre betörte mich. Der Flur, den wir betraten ist 230 Meter lang. Das Kloster ist oder war das Zweitgrößte in Europa. Die Mönche stammten aus reichen Familien. Jede der 60 Zellen (oder sagte der Führer 90, ich weiß es nicht mehr) war 50 qm groß, es sind heute die Räume der Dozenten.
Das Kloster beherbergt nämlich jetzt das Institut für Literaturwissenschaft.
Gerade das beeindruckte mich. Überall wohin wir geführt wurden, waren Studenten. Inmitten römischer Ausgrabungen im Keller waren kleine Nischen zum Lernen. Besonders faszinierte mich der Kontrast, einerseits die vielen Computer mit den vielen Kabeln, anderseits die dicken antiken Mauern eines langen Gangs. Als wir an den Beschäftigten vorbeigingen, grüßte einer nach dem anderen.

Im Refektorium der Mönche, jetzt das Auditorium Maximum, gab gerade ein
Professor eine Vorlesung. Unseren Führer störte es nicht, den Dozent auch nicht, beide sprachen nur lauter.

Als am 8. März 1669 der Ätna ausbrach, baute man um das Kloster einen riesigen Erdwall. Er hielt stand, als die Lava nach zwei Monaten das Kloster erreichte. Es entstand eine 12 Meter hohe Lavabank, worauf man später einfach weiterbaute.

Es gäbe noch so viel zum Erzählen: Vom 32 m tiefen Brunnen, der vom unterirdischen Fluß Amenano genährt wird und auf dem Domplatz als Acqa o Linzolu (Lenzuolo = Betttuch) wieder an die Oberfläche kommt, oder von den Novizen, die von außen in ihren Zellen eingesperrt werden konnten, vom Novizengarten, der Prunktreppe, und, und, und.

Sizilianische Karren
Wieder in der Jetztzeit, kamen wir zum Domplatz. Die nächste Überraschung, drei sizilianische Karren mit vorgespannten Pferden standen vor dem Dom. Noch nie sah ich in Original einen Carretu sicilanu. Auf dem Wagen saßen Männer in sizilianischer Tracht. Tano rief ihnen zu, ihre traditionellen Pfeiferl erklingen zu lassen. Er musste nicht lange warten. Bei der schnellen Tanzmusik „Tarantella“ konnte man sich fast nicht mehr ruhig halten.
Ich fühlte mich hundert Jahre zurückversetzt, aber nur so lange, bis ich die Tätowierungen an den Armen und die modischen Frisuren der jungen Männer wahrnahm. Weshalb und warum der Auftritt war, erfuhren wir nicht.
Ein sizilianischer Karren im Miniformat steht in unserem kleinen Wohnzimmer, ein Geschenk meiner Schwiegermutter. Der Staub von 40 Jahren geht nicht mehr ab.

28. November 2014, Freitag

Einkauf
Die beste Pasta di Mandorla gibt es beim Mario Codorelli, oben in der Viale Rapisardi, behauptet Tano. Weder die Mandelplätzchen im Caffé del Duomo noch die in der Pasticceria Savia, die in den Reiseführern gepriesen wird, können mithalten.
Ich mag sie auch, allein schon wegen der praktischen Verpackung, einer Schachtel mit sizilianischen Motiven. Sie stapeln sich Daheim, jetzt alle gefüllt mit Kram und Schätzen.
Also machen wir uns am letzten Tag in Catania auf den Weg zur Viale. So nennen die Catanesen die 6 km lange Straße, die unten am Meer beginnt und gerade aufwärts geht. Abschnittsweise ändert sie ihren Namen. Sie beginnt unten am Meer als Corso Italia, wird zur Viale XX Settembre, weiter zur Viale Regina Magherita und am Ende zur Viale Mario Rapisardi.
Am besten kenne ich die Viale Rapisardi, wo wir immer, so lange Nonna lebte, unseren Urlaub mit unseren Kindern verbrachten.
Die Straße hat sich nicht viel verändert. Sie ist jetzt ohne Müll, die Graffiti an den Häusern sind weniger geworden und die Sterbebilder, die an den Eingängen klebten, erinnern nicht mehr an die verstorbenen Bewohner. Die Autos kommen gleich langsam vorwärts. Nur der Bus fährt noch seltener als früher. Es gibt einen neuen Supermarkt, dafür fanden wir den Olivenverkäufer und die kleine Kaffeebrennerei nicht mehr.
Mit sechs Schachteln Pasta di Mandorla, 25 Carciofi (Artischocken) kamen wir zurück und wurden auf der Piazza del Duomo von der Polizei aufgehalten.

Renzi in Catania
Der Platz ist großräumig gesperrt. Eine kleine Studentengruppe, höchstens 50 Personen, stehen hinter der Absperrung neben und auf dem Elefantenbrunnen und protestieren. Wie ich verstehe rufen sie „Vergona, vergona, no alla stato di Polizia“. Mir kam es vor, als würden sie nicht gegen den Besuch des Ministerpräsidenten Italiens, Matteo Renzi, demonstrieren, sondern gegen die behelmten und be-stock-ten Polizisten, die in Zweier-Reihen vor ihnen standen. Obwohl, auf einem hochgehaltenen Banner stand „Renzi come Berlusconi“.

Tezenis
Bevor wir unsere Koffer packten, wollte ich unbedingt noch zur Via Etnea zum Modegeschäft Tezenis. Die Farben der Kleidungstücke sind dort immer gleich, so dass sie zu meinen früher gekauften Sachen dazu passen. Viel kaufte ich nicht.

 

29. November, Samstag

Es war sieben Uhr in der Früh. Vom Fenster aus sah Tano, dass heute am Samstag auf dem Markt das Leben schon früher begann.


Er besorgte noch Orangen, Mandarinen, Ficodindia, Käse, Oliven und Gewürze. Die Einpackerei war eine Plackerei. Wir sortierten immer wieder anders um. Am Schluss hatte auch noch das Olivenholz Platz und zwei riesengroße Grapefrüchte aus Alfonsos Garten.
Signor Zappala brachte uns zum Flughafen.
Es war eine gute Zeit. Warm war es draußen bei 20 Grad und warm war es mir ums Herz.

Geschenk

 

 

Ein Gedanke zu „Tagebuch einer Reise

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