Ist das Kunst?

Manaf Halbounis Installation „Monument“ vor der Dresdner Frauenkirche
Manaf Halbounis Facebook-Seite
Artikel auf Wikipedia

Ich war sehr bewegt als ich über die Hintergründe seines Kunstwerks erfahren habe (siehe Links oben) und eigentlich war es nur als kurzer Post auf Manaf Halbounis Facebook-Seite geplant. Als ich dann jedoch die Kommentare dort las, berührte es mich emotional sehr tief und ich begann, um seine Kunst zu verteidigen, folgenden Text zu verfassen. Da er etwas länger ausgefallen ist, veröffentliche ich ihn nun hier auf unserem Blog.

Ist das Kunst?

Da ich dieses Werk sehr interessant finde, will ich den Menschen, die sich schwer tun es anzuerkennen, ein paar Hilfen anbieten, Verständnis dafür zu entwickeln und Zugang zur Kunst zu erhalten. Gleichsam will ich dem Werk und dem Künstler hiermit auch meine kleine Anerkennung darbringen. Kunstverständnis ist nicht einfach; über die Kunst werden seit je her hitzige Debatten geführt und sicherlich ist es gar nicht möglich, dass jedem Menschen alle Formen der Kunst gefallen können. Trotzdem kann jeder, der sich einer gewissen offenen und unvoreingenommenen Auseinandersetzung stellt, leicht Respekt für die Kunst in all ihren Fassetten entwickeln.

Was soll nun so ein Haufen Schrott? Wie können Sie es Kunst nennen?

Die Kunst im Allgemeinen hat die Aufgabe Freude zu schenken und uns bei der Entwicklung des Geistes zu helfen. So; wie kann mir hässlicher Schrott Freude bereiten oder gar meine Intelligenz, mein Wissen oder gar meine guten Eigenschaften fördern? Eine berechtigte Frage.

Als ich die drei Busse zum ersten Mal gesehen habe, wusste ich noch nichts von deren Bedeutung und dem Bezug zu Aleppo. Trotzdem fand ich das Werk schon sehr interessant. Die meisten positiven und negativen Kommentare beziehen sich auf einen und sicherlich im gesellschaftlichen Konsens bedeutendsten Aspekt des Kunstwerks, dem Bezug zu Aleppo und Dresden. Doch steht ein Kunstwerk auch immer für sich selbst und kann so vieles ausdrücken. Nicht jeder (so wie ich) hat die schrecklichen Bilder aus Aleppo zuvor gesehen oder den gleichen tiefen Bezug wie der Künstler oder die alteingesessenen Bürger Dresdens.

Denken Sie an einen kunstbegeisterten Touristen, der von der Debatte um das Kunstwerk gar nichts mitbekommen hat und einfach drei aufgestellte Busse sieht. Was könnte er sich denken? Eigentlich wollte er ein Foto von der Kirche machen. Doch nun stehen dort diese komischen Busse.

„Mann, die Dresdner trauen sich aber was! Wie auch immer, das Foto von der Kirche gelingt auch aus einer anderen Perspektive.“ Zu dem Bild der Kirche kommt ein weiteres von den kuriosen Bussen hinzu.

Ein fiktives Gespräch

Zuhause fragen Ihn seine Freunde, wie die Deutschlandreise verlaufen ist. So viele Orte hat er gesehen. Doch was kommt ihm als erstes in den Sinn? Drei Busse. Sowas! Aber die Kirche dort war schon echt imposant!

Normalerweise sind seine Freunde immer sehr gelangweilt von den ewigen Bildern von Kirchen und Monumenten, doch die Busse erregen die Aufmerksamkeit und eine Diskussion beginnt.

Ein anwesendes Kind freut sich, zum ersten mal einen Bus von unten zu sehen. „Das ist ja cool, warum sind hinten eigentlich vier Reifen und vorne nur zwei?“

Sein Vater freut sich auch mal etwas erklären zu dürfen und und wirft in die Runde seiner Künstlerfreunde: „Schon ein ganz schöner Blödsinn diese Busse.“

Sein Kind wendet lachend ein: „Also ich find’s total lustig!“

Einer der Künstlerfreunde meint: „Eine ganz schöne Provokation diese abgewrackten Busse dort aufzustellen, aber na ja; Kunst darf ja auch provozieren, ein Kontrast zur altehrwürdigen Kulisse.“

Ein anderer erwidert: „Ach, Provokation ist das doch schon lange nicht mehr. Ist doch ein alter Hut. Wer sich von so was provozieren lässt, ist doch von gestern. Das gibt’s doch schon lange, dass sie Müll ausstellen oder Kunst aus Müll zusammenbauen. Wird eigentlich langsam langweilig.

Na ja, jedenfalls interessant und mutig an diesem Platz und in der Größe. Ein Monument für diese Kunstrichtung! Kunst muss ja nicht immer etwas aussagen. Ist das nicht Dadaismus?“

Ein weiterer Künstler antwortet: „Nein nein. Ich finde das dieses Kunstwerk sogar sehr viel aussagt. Wer weiß was der Künstler sagen will. Ist vielleicht bloß ein Protest an den Öffentlichen Verkehrsbetrieben dort in Dresden, aber man kann wirklich viel hineininterpretieren. Sonst sieht man die schmutzigen Busse immer durch die Stadt fahren. So kann man sie mal aus einem anderen Blinkwinkel betrachten. Ein Aufruf, mal die Perspektive zu wechseln! Sonst währen diese Busse einfach verschrottet worden, und nun kann man auch mal über die Dinge nachdenken, die man sonst einfach so beiseite schiebt. Wie viele Schicksale diese Busse wohl schon gesehen haben? Manche sind damit zur Arbeit gefahren, andere zum Feiern und für wieder andere war er Arbeitsplatz für lange Zeit. Wie viele Streitende und wie viele Versöhnungsküsse er wohl schon gesehen hat?“

„Ach du alter Romantiker“, meint der zurückgekehrte Reisende. „Hast eigentlich recht. Irgend wie erinnern mich diese Busse mit ihren Verstrebungen optisch an alte vernachlässigte Fachwerkhäuser, moderne Wolkenkrarzer oder irgendwelche Industrieanlagen. Zuerst musste ich auch irgendwie ans World Trade Center denken. Als ich dann aber drei Busse gesehen habe, hab‘ ich die Idee gleich wieder verworfen, dass der Künstler damit irgendwie politisch Stellung nehmen will zu Themen wie Terrorismus und so weiter. Vielleicht will er eher über hässliche Verbauungen in seiner Stadt protestieren.“

Das Kind stört: „Sieht aus wie drei Mondraketen!“

Der andere Freund antwortet: „Vielleicht, der Künstler meint aber bestimmt irgendwas metaphysisches, gerade vor der Kirche. Die Busse als Symbol für den Körper und innen alles hohl wie der Geist so mancher Leute, oder die christliche Mythologie mit der Dreifaltigkeit, Gott Vater, Gott Sohn und der Heilige Geist.“

„Oder die drei Grundprinzipien im Hinduismus, das erschaffende Prinzip (Brahma), das Erhaltende (Vischnu) und das Zerstörende (Schiva)“, wirft einer der Anwesenden dazu ein.

Das Kind unterbricht die Diskussion ein weiteres mal: „Hey! Kennt ihr BuildCity!“

„Was?“

„Na mein neues Computerspiel! Da kann man Städte bauen und so. Manchmal kommt so’n Monster, dass sich aus Autos zusammensetzt und macht alles kaputt! Is‘ voll doof.“

„Alles klar.“

Die Diskussion geht, eine Inspiration mehr, weiter: „Man könnte die Busse auch in Bezug zum Surrealismus sehen. Busse die in diverse Richtungen fahren, gegen die Gesetze der Physik. Oder wie der Kleine meint, Maschinenwesen, die durch die Stadt wandeln.“

Ein anderer sagt: „Ich sehe da eher den Bezug zur Religion oder zur Ethik im Allgemeinen. Die Kirche kann ja ein starkes Symbol für Vieles sein, Werte wie Nächstenliebe, aber auch ein veraltetes konservatives System, wenn man so will. Vielleicht will der Künstler sagen, dass man Gott nicht nur in der Kirche finden kann, sondern auch an so einem alltäglichen Ort wie einem Bus. Hier zeigen sie ja auch gegen Himmel. Oder die Busse symbolisieren die ,Mauerʻ des Alltäglichen, die uns daran hindert über Themen, die hier die Kirche symbolisiert, zu reflektieren. Angefangen beim alltäglichen Umgang mit den Mitmenschen bis hin zu tiefsinnigen philosophischen Fragen, wie der Seelenwanderung und Wiedergeburt.“

Begierig nun den Rest seiner Urlaubsfotos zu zeigen, antwortet der Mann: „Meinst du nicht, dass deine Interpretationen manchmal ein bisschen zu weit gehen? Du mit deinem Hinduismus und so? Das hat der Künstler bestimmt nicht damit gemeint.“

„Der Künstler hat ja auch ‚Nur‘ seine Interpretation von dem Werk, das er geschaffen hat. Ein anderer hat seine eigene Kommunikation mit der Kunst. Er fühlt und denkt vielleicht etwas ganz anderes beim Betrachten. In einer anderen Runde könnte ich jetzt viel viel weiter gehen in meiner Interpretation, aber du hast Recht, das würde jetzt viel zu weit gehen. Ist eigentlich eine interessante Frage, was sich der Künstler dabei gedacht hat. Wie heißt der eigentlich?“

„Warte! Ich schau mal, was ich bei Google über den finde.“

Die Männer werden fündig. Sehen Bilder von Demonstranten und lesen hasserfüllte Kommentare. Sie sind sprachlos. Wissen nicht mehr was sie denken oder fühlen sollen und verbringen den Rest des Abends in Schweigen.

Nur das Kind hat sich schon längst in sein Zimmer verkrochen. Spielt mit fliegenden Autos und türmt sie auf merkwürdige Weise nebeneinander auf.

Auch wenn ich diese Konversation erfunden habe, habe ich es doch mit meiner Familie und in der eigenen Reflexion mit dem Kunstwerk ganz ähnlich erlebt.

Ich könnte noch viel zu diesem außergewöhnlich kraftvollen Werk in ernsthafterem Rahmen als der „Diskussion der Leihen“ schreiben, die ich hier bemüht habe; doch belasse es bei ein paar wenigen weiteren Worten.

Es ist außergewöhnlich wie es dieses Werk schafft so vieles miteinander zu verbinden: Aleppo/Dresden, Geschichte/Gegenwart, Schrott/Schutzwall, Mauer/Aufforderung, Alltag/das Außergewöhnliche und so vieles mehr. In erster Linie ernsthaft aber eigentlich auch lustig. Bitte nicht falsch zu verstehen bei dem Hintergrund, aber ich glaube, dass ein gewisses Augenzwinkern in der künstlerischen Auseinandersetzung einen besseren Weg der Bewältigung darstellt als die bloße Reflexion des Negativen. Ich finde, dass dies dem Künstler auf herrliche Art gelungen ist.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert