Sizilien 15.- 22. März 2017
Unser Hotelzimmer
So ein großes Hotelzimmer mit fast vier Meter hohen Wänden hatten wir noch nie. Warum so hoch? Italiener sind doch von kleiner Statur. Außer Atem, nach 29 Treppenstufen lies ich mich gleich in den Stuhl einer Korbsitzecke fallen.
Nur zwei kleine Balkontürfenster, hinter wuchtigen Vorhängen, ließen Licht in unser Zimmer. Schon gut für eine Woche; Hauptsache war die gute Lage im historischen Zentrum mit allen Sehenswürdigkeiten im Umkreis.
Noch nicht ausgepackt, machten wir uns wie immer auf den Weg, umrundeten den Piazza del Duomo und gingen die Via Etnea entlang. In einem der drei Andenkenläden am Tor Uzeda kaufte ich für 6 Euro zwei kleine kitschige Gipsfiguren: Mafioso und Mafiosa. Mit diesen in der Hand hatte ich am ersten Tag eine Begegnung mit zwei freundlichen Herren. Ich verstand nicht, warum sie meinen Personalausweis sehen wollten. Tano erfasste sofort die Lage. Der Geschäftsmann bekam eine Anzeige, weil er uns keine Quittung ausstellte. So lernte ich die Polizia di Finanza kennen, die zivilen Steuerfahnder.
Spät abends, als ich mich ins Bett warf, nahm ich erst die wundervolle Zimmerdecke wahr. Sie war geteilt in viele Kassetten, in denen Blütenornamente eingebracht waren. Erst jetzt sah ich, dass der Raum im freundlichen orangefarbenen und weißen Ton ausgemalt war. Plötzlich passte alles zusammen, die geschnörkelte Kommode, die Nachtkästchen, das Doppelbett, der Spiegel. Ich fühlte mich wie in Omas Wohnzimmer, sehr wohl.
Mit der Zeit nahm ich die Treppenstufen immer leichter und sportlicher. Warum die Stockwerke so hoch waren, erfuhren wir auch noch. Unser Hotel war vor hundert Jahren ein Kino gewesen.
Catania Pass
Mit dem Catania Pass, den es früher nicht gab, fühlten wir uns frei und mobil. Wir konnten damit Museen besuchen, die Busse kreuz und quer durch Catania benutzen und mit der vor drei Monaten eröffneten Metropolitana fahren.
Accitrezza war unser erstes Ziel. Am Busbahnhof (Via Cardinale Dusmet) fanden wir weder Fahrpläne noch Anschläge der Busnummern. Man musste fragen. Ein freundlicher Angestellter meinte, ich könnte seine handgeschriebenen Abfahrtzeiten abfotografieren.
Wir fanden einen Sitzplatz. Im Gang drängten sich dicht an dicht die Passagiere. Eine Vollbremsung, ein Ruck – alle Stehenden fielen aufeinander in eine Richtung. Ich hatte mein Gegenüber auf dem Schoß. Kurze Stille, alle standen wieder senkrecht und schimpften. Ei ei, auf deutsch bedeutet es au au, jammerte die Frau, die weich auf mir gelandet war.
Accitrezza
Beim ersten Blick auf die Isole de Ciclopi, die Zyklopeninseln, fühlte ich mich, als wäre ich auf einer tropischen Südseeinsel gelandet. Die griechische Mythologie kann dieses Naturwunder erklären. Der einäugige, riesengroße Zyklope auf dem Ätna, der von Polyphem geblendet wurde, schleuderte ihm mehrere Felsenbrocken nach, die jetzt im Meer liegen.
Ein romantischer Küstenweg am ionischen Meer führte uns zur Normannenburg in Acci Castello. Der in der Filmgeschichte bekannte Film von Visconti „ La terra trema – die Erde bebt“, ein Hauptwerk des Neorealismus, wurde dort mit der Bevölkerung gedreht.
Beim Warten an der Bushaltestelle zur Rückfahrt wurde es uns nicht langweilig. Wir kamen ins Gespräch mit einer jungen Studentin, die mit ihrem kleinen Bruder, der Mutter und Tante unterwegs war. Ihre Familie kommt aus Sri Lanka. Sie wurde aber in Catania geboren und ist Italienerin. In Catania gibt es eine größere Gemeinschaft der tamilischen Hindu-Flüchtlinge, die in den 70er Jahren vom dortigen Bürgerkrieg flohen.
Afrikanische Flüchtlinge fielen mir in der Stadt nicht gehäuft auf. Obwohl im Fernsehen von vielen gerade Neuankommenden berichtet wurde. Die Flüchtlinge werden im Auffanglager Cara di Mineo vor der Stadt, einer früheren amerikanischen Militärsiedlung aufgehalten. Auf der Via Europa, der Name könnte nicht passender sein, verkaufen Schwarzfarbige schon seit vielen Jahren Schmuck, Schallplatten und Kleidungsstücke vor den Gebäuden der großen Banken.
Hoch hinauf
Ganz neu war, dass man in der Kirche San Nicola auf die Empore und aufs Dach steigen konnte. 150 Stufen meinte der Aufseher, er hielt seine Hand an sein Herz und schaute mich alte Frau zweifelnd an. Ich machte mich auf das schlimmste gefasst. Aber schneller als gedacht konnten wir Catania von oben sehen. Ich, nicht ganz schwindelfrei, konzentrierte mich auf die verwitterten Terracottaziegeln mit ihrem wunderschönen Farbspiel von orange, rot, grau und grün.
Das Diözesanmuseum am Dom besuchten wir hauptsächlich, damit Tano von der Dachterrasse seine Heimatstadt und ich die Dachziegeln fotografieren konnte.
Bekanntschaften
Ich weiß nicht, liegt es nur an Tano oder ist es eine sizilianische Eigenschaft, dass man gleich ins Gespräch kommt. Im Garten diskutierte Tano sofort mit den Zuschauern, die an den Tischen Kartenspieler beobachteten.
Im Cafe schwärmte die Besitzerin von der deutschen Schwarzwälder Kirschtorte und überzeugte uns, dass der Cappuccino nur mit bitterem Kakao überstreut, gut ist.
An der Bar am Domplatz, dort wo wir unser Frühstück einnahmen, erfuhren wir von dem Kellner die Krankheitgeschichte seiner Frau und den Studiumsverlauf des Sohnes.
Ein Wartender vor der Kasse meinte, das wir froh sein sollen, dass wir eine funktionierende Polizei in Deutschland hätten. Ich weiß nicht, warum die Catanesen mich gleich als Deutsche identifizieren. Meine Haare sind genau so grau, wie die der italienischen Frauen. Vielleicht bin ich nicht so elegant gekleidet. Egal, auf jeden Fall verabschiedet man sich freundlich mit Handschlag voneinander.
Randazzo
Mit dem Cataniapass bekamen wir zwei Karten für die U-Bahn. Mit ihr konnten wir direkt zum Bahnhof Borgia kommen. Von dort aus fährt ein Bummelzug um den Ätna. Die Bahn rumpelte und schüttelte uns, bescherte uns aber einen himmlischen Blick auf den großartigen, schneebedeckten Ätna mit einer steil aufsteigender Rauchwolke. An die Eruption, einen Tag zuvor, dachten wir nicht. Sie hatte zehn Bergsteiger leicht verletzt und den Flugverkehr gestoppt. In Randazzo stiegen wir aus und schlenderten durch die geschichtsträchtige Stadt. Sie war schon von den Griechen und Römern bewohnt und von den Sarazenen (Araber), Normannen und Langobarden erobert worden.
Der italienische Mann und die neue Metropolitana
Vor drei Monaten war die Metropolitana erst eröffnet worden. Als Endziel war Nesima angegeben, der Stadtteil, wo einmal Nonna wohnte. Dort wollten wir in einer Bar die besten Paste di Mandorla der Stadt kaufen. Der Besitzer war ein alter Bekannter von Tano. Da unsere Fahrkarte den Eingang zur U-Bahn nicht öffnete, lies uns ein Bahnbeamter rein. Wir wunderten uns, dass in Borgo alle austiegen, und warteten vergebens auf die Weiterfahrt. Die Strecke war noch nicht fertig ausgebaut.
Zurück fahren konnten wir nicht, denn an der Sperre stand diesesmal niemand, der uns rein lassen konnte. Ein Bus sollte uns weiter bringen. Nach einer dreiviertel Stunde vergeblichen Wartens machten wir uns zu Fuß auf den Weg. Unsere Cataniacard fanden wir nicht mehr so toll. Da die Autos nicht nur auf der Straßenseite sonder auch auf den Gehsteigen parkten, blieb uns oft nur die befahrene Straße zum Gehen übrig. Bei uns wäre das nicht möglich, doch catanesische Autofahrer sind Kavaliere. Ich sollt gehen und nicht schauen, sagte Tano hundert mal zu mir. Sie würden mich nicht zusammenfahren.
Auf halber Strecke überholte uns dann der Bus.
Tano war verärgert, die U-Bahnkarte war nicht für die gekauften fünf Tage gültig, sondern nur für einen Tag. Im Touristenbüro schrie man sich gegenseitig an und man schickte uns zum Castell Ursino, wo wir sie gekauft hatten. Dort schrie man sich wieder gegenseitig an und wir wurden wieder zurück geschickt. Wieder Gebrülle und wildes Gestikulieren. Ich hielt Tano an.
Ich sei wahrscheinlich noch nicht lange verheiratet, ich würde den italienischen Mann nicht kennen, meinte eine Dame. Am Schluss bekamen wir die restlichen Karten, man fiel sich fast in die Arme und wir verabschiedeten uns wie alte Bekannte.
Einladungen
Höhepunkte in Catania waren die Einladung bei Kusine Elvira und drei Tage später bei der Nichte Marisa zum Essen im großen Familienkreis. Wir wurde fürstlich bekocht mit sizilianischen Köstlichkeiten: Pasta con Ricotta, Schwertfisch, gegrillten Artischocken, Arancini und Scacciata.
Zum Abschluss überraschten sie mich mit einer Geburtstagstorte. Da wurde mir bewusst, dass wir vor einem Jahr zur gleichen Zeit auch beieinander waren.
Ich hatte dabei ein schlechtes Gewissen, denn ein Treffen bei uns in Deutschland klappte schon lange nicht mehr.
Jedesmal wurde wir am Hotel mit dem Auto abgeholt. Es war nicht mal einfach eine Parklücke zum Einsteigen zu finden. Die 10 Kilometer von Catania hoch zum Ätna bis zur Stadt Misterbianco, während dem Berufsverkehr, dauert lange, und war abenteuerlich. Wer schnell reagiert und eine gute Hupe besitzt, hat hier die Vorfahrt. Man fährt Stoßstange an Stoßstange. Erst in der Nacht bei der Rückfahrt traute ich mich aus dem Fenster zu schauen.
Catania und die moderne Kunst
Escher Ausstellung im Palazzo della Cultura
Es war Zufall oder Glück. Wir waren die allerersten Besucher der Ausstellung. Es war ein Erlebnis. Die Bilder waren so gehängt, dass man im Rückblick meinte, in den ersten Holzstichen und den späteren Landschaftsbildern Eschers perspektivisch unmögliche Figuren zu sehen. Wenn uns die Füße nicht weh getan hätten, wären wir noch länger als die zweieinhalb Stunden geblieben. Sehenswert fand ich die Landschaftsbilder, die der Künstler bei seinem Besuch in Sizilien um 1930 zeichnete.
Ausstellung Andy Warhol
Tano und ich besuchten eine Andy Warhol Ausstellung im Castell Ursino, das 1239 für den Stauferkaiser Friedrich gebaut wurde, der nicht nur schwäbisch sondern auch arabisch und italienisch sprach. Eine großartige Idee, in einer mittelalterlichen Burg moderne Kunst zu zeigen.
Sehr interessant war, dass wir mit den jungen Leuten, den Betreuern der Ausstellung, sprechen konnten, sogar auf deutsch. Auf mein Bitten bekam ich ein Ausstellungsplakat, das jetzt in unserem Haus hängt.
Das alte Catania
Ich fühlte mich auf dem Fischmarkt als würde ich einen alten Film sehen, der Ton ist leiser geworden aber die Bilder sind beeindruckend geblieben. Das Gewirr von Fischern, Händlern, Touristen und den Ständen, Körben, und Wannen verwischte sich fast zu einem schwarz-weiß-grauen Film, wären da nicht die jungen Petersilienverkäufer mit ihren grünen Sträußen gewesen.
Ein paar Schritte weiter findet man unter den Brücken der Eisenbahn nach altem Brauch die Kartenspieler, umkreist von schweigenden Zuschauern. Diesmal wieder das gleiche Bild, nur die Tische waren in die Sonne gerückt und die spielenden und beobachtenden Rentner haben sich vervielfältigt. Ich stelle mir vor, dass sie Mittag heim gehen werden und das Essen fertig auf dem Tisch steht.
Tano jammerte, die neuen Rentner würden nicht mehr die alten Kartenspiele, die er kannte, spielen.
An der Bar erzählt uns ein alter Mann, dass er sein ganzes Leben auf dem Markt Zitronen und Petersilie verkauft hat. Wie hoch seine Rente jetzt ist, darüber sprach er nicht.
Toller Bericht, schöne Bilder
Man bekommt Lust, sofort nach Sizilien zu fahren.
Freut mich Silvia, dass Dir der Bericht gefällt.