Venedig 2024

Das Abenteuer beginnt. Ich sitze im Nachtzug nach Venedig und fühle mich jung – die Frage, die mich kürzlich an meinem Geburtstag beschäftigte, „bin ich 70 oder 80“, kommt nicht auf. Ich fühle mich einfach gut. Unsere Tochter Pina hat dise Reise nicht nur geplant und organisiert, sondern begleitet auch uns beiden Alten, Tano und mich, auf unserem vierten Besuch der Biennale!

Im Hotel, einem a&o Hostel in Mestre, eher einer Jugendherberge, wurde Tano an der Rezeption als ehemaliger Gast erkannt. Nach dem Einchecken und dem noch immer spürbaren Ruckeln des Zuges in den Ohren fuhren wir mit dem Bus nach Venedig. Eingezwängt, schwankend, rumpelnd – wie schon in den vergangenen Jahren – erreichten wir Venedig in nur einer halben Stunde. Besonders gefiel mir, dass Tano auch bei den kommenden Fahrten sofort höflich einen Sitzplatz angeboten bekam, was für uns nicht selbstverständlich ist. Sogar in den Schiffen waren Plätze speziell für Über-80-Jährige ausgewiesen, zum ersten Mal auch für mich, da ich gerade 80 geworden bin.

Am Tag unserer Ankunft besuchten wir das Peggy Guggenheim Museum mit Werken von Künstlern, die mich schon in meiner Jugend begeisterten. Viele Künstlernamen und Gemälde waren mir vertraut. Der Bronzelöwe von Mirko (Basaldella) im Garten war mir früher nicht aufgefallen; Peggy Guggenheim kaufte ihn auf der Biennale 1954, wie ich im Internet las. Auf meinen Wunsch hin ließ sich Tano für ein Foto auf dem Steinthron nieder.

Für die nächsten zwei Tage stand die Biennale auf dem Programm. Das Thema der Ausstellung lautete „Foreigners Everywhere – Stranieri Ovunque“. Ich zitiere hier Adriano Pedrosa, der das Thema der Biennale erklärt: „Künstler sind immer gereist und haben Städte, Länder und Kontinente durchquert. Im Mittelpunkt der Biennale Arte 2024 stehen daher Künstler, die selbst Ausländer, Immigranten, Expatriates, Diasporiker, Emigranten, Exilanten oder Flüchtlinge sind.“

Giardini:

Arsenale:

Was ich alles gesehen habe, muss ich noch verarbeiten und nachlesen. Manches werde ich nicht herausfinden und leider auch vergessen, wie so manches von unseren früheren Besuchen der Biennale.

Einen Tag, den letzten, hatten wir zur freien Verfügung. Wir besuchten die Ausstellungen der Amerikanerin Julie Mehretu im Palazzo Grassi und die Schau von Pierre Huyghe in Punta della Dogana.

Julie Mehretu, so alt wie Pina, wurde in Addis Abeba, Äthiopien, geboren und floh mit ihren Eltern im Alter von 7 Jahren nach Michigan. Seit 1999 lebt und arbeitet Julie Mehretu in New York, wo sie ihr Atelier mit ihrer Partnerin Jessica Rankin teilt. Ihre wandgroßen Bilder sehen wie riesige Landkarten aus, zusammengewürfelt mit Straßenkarten, Flug-, Zug- und Schiffsplänen, Wetterkarten und Telefonnummern – so groß, dass sie wahrscheinlich eine ganze Mannschaft von Helfern benötigt. Nicht leicht wird es für die Künstlerin sein, ihre großen Bilder auszustellen, wie im wunderschönen Palazzo Grassi mit seinen vielen Räumen.

Auch Pierre Huyghe benötigt große Flächen für seine Ausstellung. Ich las, dass Pierre Huyghe einer der bekanntesten Künstler Frankreichs ist. Im Jahr 2001 erhielt er den Spezialpreis der Jury für den Französischen Pavillon auf der Biennale in Venedig. Nun bespielt er in Venedig die Punta della Dogana. Anfangs fühlte ich mich in der Dunkelheit der Räume unsicher, besonders mit den Kreaturen zwischen Mensch, Tier und Maschine. Ich versuche immer noch zu verstehen, was er aussagen will. Vielleicht komme ich noch darauf.

Für das Essen blieb uns am wenigsten Zeit. Wir frühstückten an einem Stand am Supermarkt bei recht zuvorkommenden jungen Männern chinesischer Herkunft. Abends besorgte Tano uns italienische Spezialitäten, die wir draußen vor unserem Hostel genossen. Geplante Spaziergänge ließen wir, todmüde, ausfallen. Nur einmal beendeten wir den Tag mit einer Tüte Eis von der Eisdiele.

Jetzt wieder zu Hause, habe ich zeitlang nach Pina, finde ich mich nach einem Tag immer noch nicht richtig zurecht. Mein erster Weg führte mich durch meinen Garten und mein zweiter hinunter in den Keller. Ich holte einen Hubel Ton, der steinhart in Folie eingetrocknet war. Nach einem Schuss Wasser in den Beutel stellte ich ihn in die Regentonne und hoffe nun, dass der Ton wieder formbar wird. Ideen, noch nicht ganz ausgereift, habe ich bereits.

Offene Ateliertage 2024

Mein Wunsch, unsere Besucher durch unser Haus zu führen und ihnen unsere Werke wie in einem Atelier oder einer Galerie zu präsentieren, stößt an seine Grenzen. Die Zimmer sind voll mit Bildern, Alben, Ordnern, Rahmen, Podesten, Tonhubeln, Erden für Glasuren und anderen Kunstmaterialien – sowohl wichtig als auch unwichtig. Allein unser Brennofen benötigt einen eigenen Raum. Diese Enge brachte uns dazu, unsere wetterfesten Keramikplastiken im Garten aufzustellen und die Mosaikkugeln und -säulen meines Mannes unter dem Vordach am Eingang anzuordnen.

Der Garten lädt die Besucher dazu ein, bei einem Kunstspaziergang unsere Werke zu entdecken, die dort verstreut sind und ihre eigenen Geschichten erzählen. Einige Werke sind bereits fest mit der Natur verwurzelt oder scheinen dabei zu sein, eins mit ihr zu werden. Ein Besucher deutete an, eine Erinnerung an die Vergänglichkeit und Unvergänglichkeit der Kunst in ihnen zu erkennen.

Auch wenn einige Werke fest mit dem Gartenboden verwachsen und schwer umsetzbar sind, finden wir immer noch neue Plätze für Sie. Unsere ungepflegten Bäume bieten immer wieder neue Nischen für die Vogelskulpturen, die Tano mit fast 85 Jahren mit Hingabe bearbeitet.

Lassen Sie mich einige dieser Werke genauer vorstellen:

Sitzende junge Frau (1995): Diese Skulptur feiert ihr 30-jähriges Jubiläum und ist ein Tribut an meine älteste Tochter Pina, die damals oft in dieser charakteristischen Sitzhaltung verweilte.

Unkraut jäten (1996): Ursprünglich als „Froschmann“ bekannt, hat diese Figur über die Jahre ihren Platz zwischen den Himbeerstauden eingenommen, inzwischen mit abgebrochenen Händen. Eine Pflanze wächst zwischen der Bruchstelle. Sie scheint mit der Natur zu verschmelzen.

Plakatieren verboten (1997): Diese Arbeit ist eine Hommage an unsere Kreisstadt Miesbach und erinnert an Ausstellungen im Miesbacher Waizingerkeller, wo ich meine Kunst unter der Leitung von Frau Krobisch präsentieren durfte.

Mann auf gestreiftem Sessel (1998): Inspiriert von einem Artikel in der „Zeit“ über einen bekannten DDR-Reporter, der vor Gerichtsprozessen saß und seine Umgebung beobachtete.

Heiliger Florian (2002): Die Erschaffung dieser Figur fiel in die Zeit unmittelbar nach den tragischen Ereignissen des 11. September 2001 und ist eine Hommage an den Schutzpatron der Feuerwehr, in Erinnerung an die Worte meiner Mutter: „Heiliger St. Florian, verschone mein Haus, zünd andere an.“

Unterm Baum liegend (2003): Diese junge Frauenfigur, versunken in ihr Buch, scheint mit der Erde verwurzelt zu sein und wird von den umliegenden Pflanzen im Dunkel der Stäucher behütet und umsorgt.

Im Lichtschein (2003): Trotz der Härte einer Holzbank findet diese Frauenfigur Ruhe und Geborgenheit im Schatten eines Baumes.

Die Behüteten (2004): Die Abwesenheit von Gesichtern in dieser Darstellung erlaubt es dem Betrachter, seine eigenen Interpretationen und Geschichten zu finden.

Rumpelstilzchen (2006): Eine humorvolle Interpretation des Märchencharakters, der in seinem Geheimnis verweilt.

Tanz der Teufel 2 (2020): Eine lebhafte und verspielte Darstellung von Teufeln, die scheinbar unschuldige Scherze treiben.

Wirklich schon 80? – Reflektionen zu meinem Geburtstag

In Gedanken versunken und die vergangenen Jahre reflektierend, frage ich mich, ob ich wirklich schon 80 bin oder doch erst 70. Rückblickend betrachtet, waren es gute Jahre, geprägt von großem Glück – insbesondere durch meine liebevolle Familie: meine vier Kinder, meinen einfühlsamen italienischen Ehemann und seine Verwandtschaft. Gemeinsam haben wir nicht nur traumhafte Urlaubstage in Sizilien verbracht, sondern auch zahlreiche kostbare Erkenntnisse gewonnen.

Besonders lebendig in meinen Erinnerungen sind die Jahre meiner Tätigkeit als Kindergärtnerin. Die anfänglich herausfordernden 4 Jahre im Winhöringer Kinderheim, in denen ich den Kindergarten leitete und bei Personalmangel morgens und abends aushalf, haben mich geprägt. Später folgten ganze 30 erfüllende Jahre im Rottacher Kindergarten. Besonders bereichernd war die Zeit mit meinem ersten Vorgesetzten, einem erfahrenen Pfarrer, sowie seinem ruhigen, gelassenen Nachfolger. Bedauerlicherweise betrachteten der letzte Pfarrer und sein junger Pastoralassistent die Führung und Arbeit als Neuland.

Ursprünglich hegte ich Ambitionen, Kunst zu studieren. Während meiner frühen Berufsjahre besuchte ich an den Wochenenden die renommierte private Mal- und Zeichenschule „Die Form“ in der Leopoldstraße in München. Bald darauf entdeckte ich meine Leidenschaft für die plastische Arbeit mit Ton, die bis heute anhält.

Höhepunkte in all den Jahren waren zweifellos meine Kunstausstellungen. Ohne die tatkräftige Unterstützung meines Mannes wären sie nie zustande gekommen. Er war nicht nur beim Schreinern und Lackieren der Podeste eine große Hilfe, sondern steht mir auch bis heute beim Aufbau, Glätten und Brennen der Keramikplastiken zur Seite. Seine Erfindung von Glasuren und Experimente mit Erden, Sand und Asche aus unserer Region haben die Kunstwerke maßgeblich geprägt und vervollständigt.

Zum Abschluss möchte ich noch kurz auf meine Eltern eingehen. Ihr gemeinsames Glück war von kurzer Dauer. Mein Vater aus Baden starb im Krieg, und während eines Fliegeralarms wurde ich im ehemaligen Schluchtern bei Heilbronn geboren. Mit 5 Jahren zogen wir zuerst kurz nach München, darauf ins niederbayerische Pilsting. Dort musste meine Mutter im Haus ihre alte Tante, eine ehemalige Pfarrhaushälterin, und meinen behinderten Onkel versorgen. Unser Einzug brachte neues Leben in das Haus mit seinen uralten Möbeln, schweren Leuchtern, vielen frommen Bildern und Büchern sowie den gewachsten Böden und feinem Porzellangeschirr. Das Haus schien fast einzustürzen, als ich noch einen kleinen Bruder bekam, doch er brachte Schwung in unser Leben.

Tonas Krippe im Tegernseer Museum

Wohnungssuche, Geburt und Flucht, zusammengefasst in einer Straßenszene, als wäre sie heute geschehen. Ich danke dem Vorstand des Krippenvereins, Herrn Christoph Rouleaux, der meine Figuren zusammengestellt und den Text geschrieben hat.

Maria, hochschwanger, und Josef erkundigen sich bei der Stadtinfo (Mitte der Szene) nach einer Wohnung. Viele andere Menschen stehen aber bereits auch schon an und fragen nach einer Bleibe. Am rechten Stadtrand haben sie schließlich ein kleines Zimmer erhalten; es bleibt wenig Zeit, denn sie müssen sich wieder auf den Weg machen und stehen mit vielen anderen Leuten und einer Schulklasse am Bus an; wer weiß, wo sie der Weg hinführt!

Jährliche Kunstausstellung in Tegernsee

Riccardo schrieb damals darüber:

Wie jedes Jahr beteiligen Waltraud und Riccardo sich bei der Tegernseer Kunstausstellung. Die diesjährige Tegernseer Kunstausstellung ist eröffnet! Noch bis zum 3. Oktober könnt ihr dort meine Bilder, Plastiken meiner Mutter Waltraud Milazzo, so wie die Kunstwerke vieler grandioser regionaler Künstler und Gastkünstler anschauen. Ich finde, es ist dieses Jahr mit allen Beiträgen, eine wirklich gelungene Ausstellung zusammengekommen.

Von mir ist zu sehen: „Mikro Bird 1-9“ „Kannonenvogel“ und „Vogelfamilie mit zwei Kücken“ (Bleistift auf Papier), Von meiner Mutter: „Vogelfamilie mit zwei Kücken“ „Merged Heads“ und „Vor dem Eingang“ (Steinzeug, glasiert).

Ausstellung in der Regierung von Oberbayern

Das Jahr 2023 begann mit dem Ende der Landkreisausstellung in der Regierung von Oberbayern. Mit 20 Künstlern aus unserem Landkreis konnte ich drei Werke im Treppenhaus in der Münchner Maximilianstraße ausstellen. Organisiert hatte die Ausstellung der Bayrischzeller KULTURSPRUNG e.V.

Die Jahre vergehen

Die Jahre vergehen, fast vergessen hatte die Familie ihre gemeinsame Ausstellung 2022 in der Raiffeisenbank Gmund. Gemeinsam mit gmundart ermöglicht die Bankfiliale in Gmund die Ausstellung in ihren Räumen. Tano konnte seine Mosaikkugeln, Pina und Riccardo ihre Bilder und Tona ihre Plastiken ausstellen.

Gut, dass Frau Dr. Ziegler unsere Ausstellung in einem Artikel der Kulturvision festgehallten hat: https://www.kulturvision-aktuell.de/milazzos-familienausstellung-raiffeisenbank-gmund-2022

Almost Birds

Es ist nicht leicht 1000 Gedanken unter einen Hut zu bringen. Riccardo schafft es und beweist es mit seinen Zeichnungen. Er zeichnet Vögel, nicht nur in vielen Variationen, sondern jeder erzählt eine andere Geschichte, mal lustig, mal ernst, mit altbackenem oder philosophischem Hintergrund. Er zeichnet weder altertümlich noch trendig. Seine Materialien sind Papier, Bleistift und Farbstift. Er malt schnell, meist aber tage- und nächtelang. Zusätzlich bearbeitet er nachträglich die Bilder digital fürs Internet. Was er nicht kann, ist seine Arbeiten anzupreisen.

Ich hoffe, dass der wunderschöne Bericht von Ines Wagner in der Kulturvision manchen Kunstfreund zu einem Kauf animiert.

Almost Birds – die Vögel sind los (Beitrag von Ines Wagner auf kulturvision-aktuell.de) >>>

Venedig 2022

Tano und ich erlebten wunderschöne Tage in Venedig. Umgekehrt als früher organisierten diesmal die Kinder die Reise für uns. Sie bestellten den Nachtzug, suchten ein Hotel und waren auch in Venedig per Smartphone stets zu erreichen.

Die Biennale war unser Hauptziel. Für den ersten Tag nahmen wir uns die Giardini vor. Während Tano die Eintrittskarten kaufte, setzte ich mich auf die verwitterte Bank, auf der ich beim letzten Besuch vor Corona auch saß. Damals merkte ich nicht, dass sie frisch gestrichen war, und musste den ganzen Tag mit einem roten Abdruck auf meiner Hose durch die Giardini laufen.

Der Schweizer Pavillon, war der Erste, den wir besuchten. Die Bäume und das Gras im Vorgarten waren schwarz verbrannt und die Schotterkiesel am Boden knirschten unter den Sohlen. In den Innenräumen wurde es immer dunkler, am Schluss war es stockfinster. Nur langsam tasteten wir uns vorwärts. Im letzten Raum angekommen, blitzte rotglühend ein Riesenkopf auf.

Beklemmend war es dann auch im dänischen Haus. Ein riesiger Zentaur hing von der Decke und im Stall lag ein weiblicher Zentaur im Heu, scheinbar in den Wehen, denn aus dem Unterkörper ragte die Fruchtblase heraus. Alles war hyperrealistisch dargestellt. Jedes Haar konnte man erkennen.

Der venezolanische Pavillon mit den wunderschönen, fast naiven Bildern und Gegenständen gefiel mir besonders gut. Die Künstlerin war mir gleich sympathisch, sie war in meinem Alter.

Der Besuch im deutschen Pavillon war kurz. Ich hatte schon daheim viel darüber gelesen. Eigentlich wollten sie das ganze Gebäude entfernen und per Kran außerhalb des Geländes aufstellen.

Wir ließen uns viel Zeit. Wir wollten warten bis die Menschenschlange vor dem Hauptgebäude kürzer werden würde. So schlenderten wir von Pavillon zu Pavillon, vorbei am verschlossenen und bewachten russischen, schlüpften durchs Ohr ins brasilianische Haus rein und raus, und fotografierten den bewegten Meereshorizont im serbischen Haus.

Letztendlich stellten wir uns in die Menschenschlange, die leider nicht kürzer wurde, sondern inzwischen schon beim Gelände-Haupteingang endete.

Nun wurde die Zeit knapp. Im Schnelldurchgang durchquerten wir die einzelnen Kapseln. Etwas pausiert haben wir bei den Keramikarbeiten von Jana Euler. Auf einem Sockel standen 111 glasierte, zähnefletschende, stilisierte Haie mit dem Titel „great white fear“. Beängstigend fand ich sie nicht, eher die übergroße „Venedigfliege“ auf einem Bild daneben. Die Arbeiten von Paula Rego hielten mich auch auf. Ich konnte sie fast nicht ansehen. Es schien, als würde eine Mutter ihre Kinder fressen. Gluttony war der Titel.

Im Arsenal

Der zweite Tag im Arsenal war entspannender.

Ich war nicht die einzige, die an dem aus Erde gebauten Labyrinth roch. Angeblich war die Erde mit Zimt, Nelkenpulver und Kakao vermischt. Ich roch nichts, wahrscheinlich war der Duft schon verflogen.

Im Arsenal gab es auch noch viele Länderbeiträge. Wieder standen wir in der Schlange vor dem italienischen Pavillon. Als Tano und ich endlich vor der Eingangstür standen, durften wir nicht zusammen, sondern nur einzeln nach einer kurzen Wartezeit eintreten. Der Sinn erschloss sich mir nicht. Wahrscheinlich sollte man so die früheren Arbeitsbedingungen in Lagerhallen erfühlen können. In einer dunklen Halle waren Tische mit Nähmaschinen bestückt. Als Tano eine uns bekannte alte Singer-Nähmaschine entdeckte, spürten wir, dass diese alte Zeit noch nicht so lange vorbei ist.

Im letzten Raum war ein Wasserkanal. Man hörte, wie die Wellen an die Wände schwappten. Scheinbar konnten Schiffe zum Ein- und Ausladen direkt in die Halle fahren.

Lange hielten wir uns im Raum von Lettland auf. In einem wohnzimmerähnlichen Raum waren Tische und Regale mit Geschirr, Figuren und Kleinzeug aus glasiertem Porzellan vollgestopft. So viel Kitsch habe ich noch nie auf einmal gesehen und trotzdem – so lange wie dort haben wir uns nirgends aufgehalten und auch nirgends so viele Leute in einem Raum gesehen. Es gab aus Porzellan-Phalli zusammengesetzte Kronleuchter, Flaschen in Form von Brüsten, Teller ganz aktuell mit Malereien von Putin und Jeff Bezos, provokante verunstalteten Kreuze, Nachbildungen von Smartphones, kitschig bemalt, und und…

Wiederum war die Zeit für uns zu kurz. Aber mehr hätten wir auch nicht mehr aufgenommen. So jung sind wir auch nicht mehr.

Am dritte Tag besuchten wir die Museen in der Stadt

Punta della Dogana: Bruce Nauman

Der amerikanische Künstler Nauman probierte viele künstlerische Gestaltungsmöglichkeiten aus. Im Museum Punta della Dogana sahen wir gleich beim Eingang seine Videoinstallation mit den Titel „ Contapposto Studies, I through VII“. Sie erstreckte sich über die ganze Haupthalle. Sie zeigt Männer, die im weißen T-Shirt und Jeans schwingend entlang gehen und dabei mit einem gestreckten und einen abgewinkelten Bein stehen bleiben. Erst daheim las ich, dass der Wechsel von Stand und Spielbein ein Gestaltungsmittel der Künstler in der Renaissance war z.B. bei Michelangelos’ David. Im zweite Video zeigt Nauman sich selbst in seinem Arbeitsraum wie er vor und zurück geht. Er selbst ist sozusagen das Kunstwerk.

Lange hielten wir das sich stets wiederholende Geräusch nicht aus. Erholsam war es, dass man nach oben gehen konnte, mit der herrlichen Aussicht auf San Marco und das Meer, wo sich der Canal Grande mit dem Canale della Giudecca trifft.

Palazzo Grassi am Canal Grande: Ausstellung von Marlene Dumas

Ich las, dass ihre rund hundert Bilder alle zwischen 1984 und 2021 entstanden sind. Davon 20 Porträts berühmter Homosexueller, die verfolgt wurden, wie z.B. der Schriftsteller Oscar Wilde. Ihre Hauptthemen waren Gewalt, Tod und Liebe.

Ich sah eher intime Momente. Die nackten Frauen in aufreizenden Posen sind nur mit wenigen Strichen angedeutet, fast durchsichtig mit überraschenden hellen Farben in Szene gesetzt. In einem so großen Palast, in dem an einer weißen Wand nur ein Bild hängt, wirkt es großartig. Das wäre für jeden Künstler mehr als ein Traum. Bei allen Ausstellungen, an denen ich mich beteiligen konnte, herrschte Platzmangel.

Tona und „Das Nachtgewand der Sterne“

In einer langen Nacht, die bis zur Mittagszeit des kommenden Tages reichte, begann ich, das gerade frisch gedruckte Buch zu lesen: „Das Nachtgewand der Sterne“ von Orbubraljantus.

In der Einleitung las ich, dass Riccardo seinen Namen nicht unter das Buch setzen wollte, denn Orbubraljantus war es, der die Geschichte erlebte und sich deren Ende erträumte.

Manche Stellen musste ich zweimal lesen. Mal verrutschte das Kissen im Bett und mal wurden meine hochgestreckten Unterarme schwer. Doch viel öfter stolperte ich über die ungewöhnlichen Namen der Personen, Orte und Begriffe. Von Floral-Brüter oder Stellarschiffen hatte ich keine Ahnung.

Manche Texte lasen sich leicht, wie ein Gedicht:
Ormobubax, ist in sein liebes Tal zurückgekommen, den Ort, an dem er immer wieder der Geburtsblüte entsteigt. Er liegt im tiefen feuchten Moos unter Bäumen und betrachtet den silbernen Mond, der gerade unterging. Die Äste der kleinen und großen Bäume bewegen sich im Wind, wie die Tänzerinnen des nahen Ortes. Irgendwie ist er traurig, dass der Silberne (Mond) schon untergegangen ist, denn er vermittelt ihm immer so ein Gefühl der Sicherheit.

Das Buch erzählt ganz Gewöhnliches, vom gemütlichen Zusammensitzen in der Runde, es wird gestickt, Andenkenbeutel werden gefüllt und es wird diskutiert. Nur statt Bier wird Birt getrunken. Die Gespräche untereinander sind freundschaftlich, es geht um Technik und Philosophie. Sie diskutieren über Raumfahrt, Hangars und Datenkerne genau so wie übers Essen und Schlafen.

Riccardo schildert aber auch viel Ungewöhnliches und Außergewöhnliches. Manches Nichtverständliches wird mit Riccardos Worten selbstverständlich und nachfühlbar.

Bei einer Parabel, in der die weiße Sonne traurig ist, musste ich an den kleinen Prinz und seine Ratschläge aus dem Buch von Antoine de Saint-Exupery denken:
Die weiße Sonne fühlt sich schlecht, und beklagt sich, dass sie alle Sonnen und Sterne überstrahlt. Dagegen beim Schein der roten Sonne erstrahlen alle – auch die schwach leuchtenden Sterne – hell und deutlich. Die rote Sonne hat Mitleid mit der weißen und beginnt zu weinen. Aus den Tränen wird ein Nachtgewand für die weiße Sonne.

Ich muss das Buch nochmal lesen. Ich bin erstaunt und bin völlig überrascht wie viele Gedanken und unkonventionelle Ideen Riccardo hatte. Viele Gedanken und Erkenntnisse finde ich einzigartig und wundervoll.