Venedig 2022

Tano und ich erlebten wunderschöne Tage in Venedig. Umgekehrt als früher organisierten diesmal die Kinder die Reise für uns. Sie bestellten den Nachtzug, suchten ein Hotel und waren auch in Venedig per Smartphone stets zu erreichen.

Die Biennale war unser Hauptziel. Für den ersten Tag nahmen wir uns die Giardini vor. Während Tano die Eintrittskarten kaufte, setzte ich mich auf die verwitterte Bank, auf der ich beim letzten Besuch vor Corona auch saß. Damals merkte ich nicht, dass sie frisch gestrichen war, und musste den ganzen Tag mit einem roten Abdruck auf meiner Hose durch die Giardini laufen.

Der Schweizer Pavillon, war der Erste, den wir besuchten. Die Bäume und das Gras im Vorgarten waren schwarz verbrannt und die Schotterkiesel am Boden knirschten unter den Sohlen. In den Innenräumen wurde es immer dunkler, am Schluss war es stockfinster. Nur langsam tasteten wir uns vorwärts. Im letzten Raum angekommen, blitzte rotglühend ein Riesenkopf auf.

Beklemmend war es dann auch im dänischen Haus. Ein riesiger Zentaur hing von der Decke und im Stall lag ein weiblicher Zentaur im Heu, scheinbar in den Wehen, denn aus dem Unterkörper ragte die Fruchtblase heraus. Alles war hyperrealistisch dargestellt. Jedes Haar konnte man erkennen.

Der venezolanische Pavillon mit den wunderschönen, fast naiven Bildern und Gegenständen gefiel mir besonders gut. Die Künstlerin war mir gleich sympathisch, sie war in meinem Alter.

Der Besuch im deutschen Pavillon war kurz. Ich hatte schon daheim viel darüber gelesen. Eigentlich wollten sie das ganze Gebäude entfernen und per Kran außerhalb des Geländes aufstellen.

Wir ließen uns viel Zeit. Wir wollten warten bis die Menschenschlange vor dem Hauptgebäude kürzer werden würde. So schlenderten wir von Pavillon zu Pavillon, vorbei am verschlossenen und bewachten russischen, schlüpften durchs Ohr ins brasilianische Haus rein und raus, und fotografierten den bewegten Meereshorizont im serbischen Haus.

Letztendlich stellten wir uns in die Menschenschlange, die leider nicht kürzer wurde, sondern inzwischen schon beim Gelände-Haupteingang endete.

Nun wurde die Zeit knapp. Im Schnelldurchgang durchquerten wir die einzelnen Kapseln. Etwas pausiert haben wir bei den Keramikarbeiten von Jana Euler. Auf einem Sockel standen 111 glasierte, zähnefletschende, stilisierte Haie mit dem Titel „great white fear“. Beängstigend fand ich sie nicht, eher die übergroße „Venedigfliege“ auf einem Bild daneben. Die Arbeiten von Paula Rego hielten mich auch auf. Ich konnte sie fast nicht ansehen. Es schien, als würde eine Mutter ihre Kinder fressen. Gluttony war der Titel.

Im Arsenal

Der zweite Tag im Arsenal war entspannender.

Ich war nicht die einzige, die an dem aus Erde gebauten Labyrinth roch. Angeblich war die Erde mit Zimt, Nelkenpulver und Kakao vermischt. Ich roch nichts, wahrscheinlich war der Duft schon verflogen.

Im Arsenal gab es auch noch viele Länderbeiträge. Wieder standen wir in der Schlange vor dem italienischen Pavillon. Als Tano und ich endlich vor der Eingangstür standen, durften wir nicht zusammen, sondern nur einzeln nach einer kurzen Wartezeit eintreten. Der Sinn erschloss sich mir nicht. Wahrscheinlich sollte man so die früheren Arbeitsbedingungen in Lagerhallen erfühlen können. In einer dunklen Halle waren Tische mit Nähmaschinen bestückt. Als Tano eine uns bekannte alte Singer-Nähmaschine entdeckte, spürten wir, dass diese alte Zeit noch nicht so lange vorbei ist.

Im letzten Raum war ein Wasserkanal. Man hörte, wie die Wellen an die Wände schwappten. Scheinbar konnten Schiffe zum Ein- und Ausladen direkt in die Halle fahren.

Lange hielten wir uns im Raum von Lettland auf. In einem wohnzimmerähnlichen Raum waren Tische und Regale mit Geschirr, Figuren und Kleinzeug aus glasiertem Porzellan vollgestopft. So viel Kitsch habe ich noch nie auf einmal gesehen und trotzdem – so lange wie dort haben wir uns nirgends aufgehalten und auch nirgends so viele Leute in einem Raum gesehen. Es gab aus Porzellan-Phalli zusammengesetzte Kronleuchter, Flaschen in Form von Brüsten, Teller ganz aktuell mit Malereien von Putin und Jeff Bezos, provokante verunstalteten Kreuze, Nachbildungen von Smartphones, kitschig bemalt, und und…

Wiederum war die Zeit für uns zu kurz. Aber mehr hätten wir auch nicht mehr aufgenommen. So jung sind wir auch nicht mehr.

Am dritte Tag besuchten wir die Museen in der Stadt

Punta della Dogana: Bruce Nauman

Der amerikanische Künstler Nauman probierte viele künstlerische Gestaltungsmöglichkeiten aus. Im Museum Punta della Dogana sahen wir gleich beim Eingang seine Videoinstallation mit den Titel „ Contapposto Studies, I through VII“. Sie erstreckte sich über die ganze Haupthalle. Sie zeigt Männer, die im weißen T-Shirt und Jeans schwingend entlang gehen und dabei mit einem gestreckten und einen abgewinkelten Bein stehen bleiben. Erst daheim las ich, dass der Wechsel von Stand und Spielbein ein Gestaltungsmittel der Künstler in der Renaissance war z.B. bei Michelangelos’ David. Im zweite Video zeigt Nauman sich selbst in seinem Arbeitsraum wie er vor und zurück geht. Er selbst ist sozusagen das Kunstwerk.

Lange hielten wir das sich stets wiederholende Geräusch nicht aus. Erholsam war es, dass man nach oben gehen konnte, mit der herrlichen Aussicht auf San Marco und das Meer, wo sich der Canal Grande mit dem Canale della Giudecca trifft.

Palazzo Grassi am Canal Grande: Ausstellung von Marlene Dumas

Ich las, dass ihre rund hundert Bilder alle zwischen 1984 und 2021 entstanden sind. Davon 20 Porträts berühmter Homosexueller, die verfolgt wurden, wie z.B. der Schriftsteller Oscar Wilde. Ihre Hauptthemen waren Gewalt, Tod und Liebe.

Ich sah eher intime Momente. Die nackten Frauen in aufreizenden Posen sind nur mit wenigen Strichen angedeutet, fast durchsichtig mit überraschenden hellen Farben in Szene gesetzt. In einem so großen Palast, in dem an einer weißen Wand nur ein Bild hängt, wirkt es großartig. Das wäre für jeden Künstler mehr als ein Traum. Bei allen Ausstellungen, an denen ich mich beteiligen konnte, herrschte Platzmangel.

Ausstellung im Palazzo Grassi Luc Tuymans

Wenn wir schon in Venedig sind, dann mussten wir natürlich auch den wunderschönen Palazzo Grassi besuchen.

Diese Jahr 2019 stellt Luc Tuymans aus (geb.1958 in Belgien) Das Thema der Ausstellung: La Pelle
Gleich in der Mitte des Atriums war ein riesengroßes, begehbares Mosaik. Ich las, dass es mit 200.000 Steinchen extra für die Ausstellung gemacht wurde, nach einem Gemälde vom Tuymans, das er wiederum nach einer Zeichnung von Alfred Kantor, einem Überlebenden aus dem deutschen Arbeitslager Schwarzenheide, fertigte. Tano und ich trauten uns gar nicht darauf steigen.

Über die ausladenden Treppen des klassizistischen Palazzos kam man zu den Ausstellungsräumen im ersten und zweiten Stock.

Seine Bilder fielen auf den großen, weißen Wänden fast nicht auf. Sie waren verwaschen und wirkten verschwommen. Bleich und unauffällig waren die Gesichter. Sie wirken durch ihre aufgerissenen Augen traurig. Das Rundherum fiel genauso wenig auf. Sogar ein dunkles blau oder schwarz wirkte gebleicht.

Zwischen den rahmenlosen Bildern war viel Raum. Die weißen Wände wirkten wie Passepartouts.

58. Biennale Venedig 2019

Die letzte Biennale 2017 fiel für mich leider ins Wasser. Ich habe mich jetzt wieder hoch gestrampelt und so konnten Tano und ich uns heuer auf den Weg nach Venedig machen. Diesmal ganz umweltfreundlich, mit dem österreichischen Nachtzug München-Venedig.

Ich hatte fast ein schlechtes Gewissen, die Stadt zu besuchen, da die Masse von Touristen für die Venediger eine Belastung ist. Aber ohne uns wäre es auch nicht gut. An den Orten, wo wir waren, gab es kein Gedränge.

Während Tano sich für die Eintrittskarten zur Biennale anstellte, setzte ich mich auf eine frischgestrichene rote Bank. Mit der Hand fühlte sie sich trocken an. Trotzdem lief ich dann den ganzen Tag als wanderndes Kunstwerk mit rotem Hinterteil umher.

Als gutes Omen deutete ich die lichte Wolke, die über dem italienischen Pavillon schwebte, erzeugt durch eine Nebelmaschine. Schrieben doch die Zeitungen, dass bei der Eröffnungsfeier die grauen feuchten Nebelschwaden bis ins Innere des Hauses zogen.

Leichten Fußes begannen wir unseren Rundgang durch einen engen Korridor. Grelles Licht blendete uns. So weiß, dass es schmerzte. Im Laufschritt durchquerten wir den Lichtschacht hin zu einer knienden zwei Meter hohen Terrakottamadonna. Ihre Hände lagen abgehackt am Boden. Was dann eine Mauer mit Stacheldraht und Schusslöcher aussagen sollte, war deutlich. Ebenso eine Installation mit Steinen aus einem Atomkraftwerk.

Keramikmasken an der Wand sahen so aus, wie meine Tonarbeiten unbearbeitet.

Eher ein Spektakel war für mich der Roboter, der ständig versuchte, mit einem Greifarm blutfarbige Flüssigkeit in die Mitte zu wischen. Dabei verschüttete er erneut die Farbbrühe. Erinnerte mich sofort an meinen Haushalt, kaum aufgeräumt, entsteht am anderen Ende wieder Unordnung.

Lustig sahen die fleißigen Arbeiter im belgischen Pavillon aus. Lebensgroße mechanische Puppen, in folkloristischer Tracht, kochten, malten, musizierten. Überall surrte und schnurrte es. Erst später sah ich in den Seitenräumen, abgesperrt hinter Gittern, die Figuren der Kranken, Armen und Flüchtlinge. Sie waren die Zuschauer.

Der nordische Pavillon gefiel mir immer schon. Mitten im Raum wachsen meterhohe Bäume durch das Dach. Ton in Ton war diesmal die Ausstattung. Die Farbe des Boden wiederholte sich in den Installationen mit Pflanzen, Algen und Steinen. Ich konnte es nicht lassen, mit einem Finger einen Stein zu berühren. Ich wurde mit Recht gleich ermahnt. Aber ich wusste jetzt, dass sie aus Sand geformt waren. Sand in Nylon gepackt, las ich später.

Nachdem wir fast in allen Pavillons waren, suchten wir erschöpft die Ecke mit den Liegestühlen. Diesmal lagen große, weiche Matten auf dem Boden. Sie waren noch unbesetzt. Nachdem wir die Schuhe ausgezogen hatten und uns darauf ausstreckten, erkannten auch andere Besucher, dass es keine Kunstinstallation war.

Wir waren wieder frisch und aufnahmebereit für die internationale Ausstellung in den Arsenalen zum Thema: „May you live in interesting times“. Allein die alten Hallen und das Wissen, dass dort vor Jahrhunderten für die Seeschlacht von Lepanto 100 Galeeren gebaut wurden, macht einem ehr(und)fürchtig.

Jetzt auf Anhieb erinnere ich mich nur noch an besondere Kunstwerke.

Das Bild „Double Elvis“ von George Condam am Eingang vergesse ich sicher nicht mehr. Riesengroß bis unter die Decke reichte es. Wahrscheinlich, weil es eine Antwort auf Andy Warhols gleichnamigen Siebdruck war.

Im Dachstuhl waren von der deutschen Installationskünstlerin Alexandra Bircken zusätzliche Balken und Leitern eingebaut, auf denen 40 schwarze Latexfiguren hingen. Kalt läuft es mir jetzt noch über den Rücken. Sie sahen aus wie vom Feuer geschrumpfte und geschmolzene Menschen.

Eine rießengroße Sitzende auf einem Flugzeugsitz, drapiert mit Stofffetzen in kauernder Haltung war auch erschreckend. Rote Plastikstühle mit drei Meter hohen wackeligen Stahlfüßen strahlten Unsicherheit aus. Ich komme mir vor, wie ein Kind, dass belehrt werden muss. Die Figur mit alten Kleiderfetzen, oder der Marmorthron der gepeitscht wird, kann ich vielleicht noch deuten, vieles aber nicht.

Indien war nach langer Pause, so las ich, auch wieder vertreten. Auf drei großen Flächen waren eng aneinander Holzschuhe angebracht; ideenreich und wunderschön kunsthandwerklich verziert. Ich suchte den für mich passenden Schuh aus, der nicht nur mein momentanes Empfinden wider gibt, sonder seit meiner Chemobehandlung das taube Gefühl der Füße bildlich zeigt. Ich fotografierte den Schuh.

Saudi Arabien war zum ersten Mal dabei. Wunderschöne, aus Leder geschnittene, durch Hitze geformte Gebilde, die an Seeigel und Muscheln erinnerten, waren zu einem riesigen Ornament zusammengeknüpft. Anerkennend ist, dass die Künstlerin eine Frau ist, die das Land präsentiert. Ich freute mich, dass ich ein dreisprachiges großes Buch geschenkt bekam. Wahrscheinlich betrachtete ich besonders interessiert die kunsthandwerklichen Arbeiten.

Noch ein Geschenk gab es bei der österreichischen Künstlerin Renate Bertlmann. Ein großes Plakat mit einem Foto einer Rollstuhlfahrerin. Buch und Rolle trug ich brav durch die Stadt. Das eingerollte Plakat überstand leider die Zugrückfahrt nur halb. Ich glaube, ich habe es beim Aussteigen in Tegernsee vergessen. Schade.

Den obligatorischen Bleistift als Andenken kaufte mir Tano, ohne zu Fragen, ob ich ihn möchte.

Biennale von Venedig

2. Teil
>>> zum 1. Teil

Von Motorsägen und Rosenduft

Wer in diesem Jahr die Biennale besuchte, lernte zeitgenössische Künstler kennen. Jene Künstler, die sichtbare Dinge nicht nur zeichnerisch, malerisch oder plastisch darstellen, sondern umgekehrt, mit tatsächlichen Gegenständen Kunst machen. Marcel Duchamp war einer der Ersten. Er kaufte ein Urinal, signierte es und stellte es aus. Das war schon 1917. Er wird oft auch als Mitbegründer der modernen Kunst bezeichnet.

Gleich am Eingang der Arsenale sahen wir ein Werk des jungen, französisch-algerischen Adel Abdessemed (geb.1971). Als ich seine Schwerter sah, die in Blütenformen auf den Boden aufgesteckt waren, dachte ich an die Worte aus der Bibel: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen“.

Der bekannte Altmeister Bruce Naumann (geb. 1941) ließ mit Neonlichtschläuchen die Wörter „Human, Death, Pain, Life“ an die Wand schreiben. Ich kenne eine Neon-Installation von ihm, die im Münchner Museum Brandhorst ausgestellt ist.

Auch mit Worten drückt sich Adrian Piper (geb. 1948) aus. „Alles wird weggenommen werden“, steht 25-mal auf einer großen Tafel, mit Kreide geschrieben, teils leicht verwischt – es braucht keine Erklärung. Die in Amerika geborene Künstlerin lebt in Berlin und bekam in diesem Jahr den
Goldenen Löwen.

An der Decke hingen Knäuel von Motorsägen und Ölkanistern. Unwillkürlich zog ich meinen Kopf ein, als ich unter ihnen durch ging, so als könnten die schweren Geräte gleich runter fallen. Sie sahen so echt aus, pechverschmiert und ölig. Die Künstlerin Monica Bonvincini ist 1965 in Venedig geboren und lebt in Berlin.

Statt Bleistiftstriche auf Papier zieht die Japanerin Chihara Shiotas (geb. 1972) Linien und Schraffuren mit Wollfäden durch Räume. Anders als auf einem Blatt, kann die Künstlerin sie zu dreidimensionalen Flächen ordnen oder zu Knäuel weben. Sie spinnt Schuhe, Stühle und alle möglichen Dinge ein.
In der Biennale knüpfte sie 50.000 alte Schlüssel in ein rotes Fadengespinst ein und beleuchtete es mit rotem Licht. Die Künstlerin titulierte es „The Key in the Hand“. 400 Kilometer lang waren angeblich die roten Wollfäden.

Als ich in den niederländischen Pavillon eintrat, kam mir ein herrlicher Duft entgegen. Ich dachte, typisch Holland mit seine Tulpen. Es war aber ein Rosenduft, der von einem großen, runden Rosenknospen-Beet am Boden ausging.
Der niederländische Künstler Herman de Vries (geb. 1931), der in Deutschland lebt, war in jungen Jahren Gärtner. Er zeigt Naturbilder, besser gesagt, er ordnet Naturmaterialien zu Bildern. Aus verschieden Teilen Italiens sammelte er Erde und verarbeitete sie zu Farben. Für uns nichts Neues. Tano hat schon viele Engoben und Glasuren aus Erden entwickelt.

Vorwärts gingen wir rein und rückwärts wieder raus. Einkaufen wollten wir in dem kanadischen Tante-Emma-Laden nicht. Konnte man aber gar nicht. Also noch mal rein. Eine Plastikkatze auf dem Verkaufstisch winkte uns zu, als wir zur Keramikgießwerkstatt durchgingen. Da kannten wir uns aus. In den Regalen standen kitschige Figuren, fabrikmäßige Massenware, die noch nicht von den Fugen der Gipsformen entgrätet worden waren. Spuren vom Gießton sah man auf den Regalen und am Boden.
Im nächsten Raum, überall, neben- und übereinander Konservendosen, die mal als Farbtöpfe verwendet wurden. Ein Lebenswerk von mindestens drei Messies.
Drei Künstler waren es auch, die den Pavillon bespielten, das Trio BGL mit Jasmin Bilodeau, Sébastien Giguère und Nicolas Laverdiére. Alle drei sind im Alter meiner großen Kinder.

Eine ähnliche Idee hatte die Künstlerin Maria Papadimitrious (geb. 1957). Sie hat im griechischen Pavillon den Laden eines alten Leder- und Tierhautverkäufers aus ihrem Land verpflanzt. Alt und heruntergekommen sah der Einmannbetrieb aus. Er sollte vielleicht den jetzigen Zustand
Griechenlands zeigen.

Ich könnte noch viele Beispiele aufzählen, die den Gedanken von Marcel Duchamp fortsetzen: Glasscherben gab es im Nordischen Pavillon, Knochen und eine industrielle Sortiermaschine im Belgischen, Brot und Schwemmholz im Australischen, aufgespießte Fliegen im Belgischen.

 

Die Biennale in Venedig 2015

1. Teil

Leere Räume

Schon nach kurzer Zeit in den „Giardini della Biennale“ hatte ich das Gefühl, dass sich immer mehr Künstler zurück nehmen, sich in leere Räume zurückziehen und die Lücke ihr Thema ist.

Der schweizer Pavillon
war ganz leer geräumt. Nur grünes Licht füllte die Räume und ließ uns grün erscheinen. Wir Besucher belebten das Haus, als wären wir Darsteller von Aliens. Eine brusthohe Mauer stoppte uns vor dem letzten Zimmer. Es war mit Wasser gefüllt, das sich sanft bewegte. Es wunderte mich nicht, dass das Wasserbecken rosafarbig war. Ich dachte, dass wir nach so viel Grün die Komplementärfarbe sähen.
Den Clou der Sache las ich erst daheim im Internet. Die Künstlerin Pamela Rosenkranz (geb. 1979) ließ das Becken mit einer rosafarbenen Flüssigkeit füllen, die den Eindruck von Haut erzeugen sollte. Für sie ist die menschliche Haut schon lange das Thema ihrer Kunst. Den angeblichen Geruch von Babyhaut, der durch das Gebäude zog, hätte ich wahrscheinlich wahrgenommen, wenn ich es gewusst hätte.

Im österreichischen Pavillon
waren die Böden und Decken schwarz. Die Wände waren weiß getüncht. Kein Bild und keine Skulptur störten das Haus. In jeden Raum stand eine weiße, längliche Bank. Ich glaube, sie waren zum Sitzen gedacht.

Im französischen Pavillon
gab es einen Raum nur zum Ausruhen. Auf den Sofa ähnlichen Liegen hätten wir bequem ein Mittagsschläfchen machen können.
Doch wir waren wegen des, in der Presse vielbesprochenen, gehenden Baumes dort. Eine große Kiefer mit einem wuchtigen Wurzel-Erdballen stand in der leeren Halle. Vergeblich warteten wir, dass sie ihre Position änderte. Erst als wir ganz nah bei ihr standen, drehte sie sich um Millimeter. Die zwei Kiefernbäume vor dem Pavillon rührten sich gar nicht.
Wieder mal las ich erst daheim, dass die Bäume sich schneller bewegen, je größer die Menschenmenge ist. Als wir dort waren, bekamen sie scheinbar zu wenig menschliche Zuwendung.
Ob die lebendigen Bäume am Ende der Biennale noch leben werden? Die Wurzelballen wurden für die großen Räder und Rechner innen stark ausgehöhlt.

Im dänischen Pavillon
war ich von der Kargheit begeistert. Fast jedes Werk hatte einen eigenen Raum. So kamen sie richtig gut zur Geltung. In einem großen Raum lag auf dem Boden, wie vergessen, eine kleine Kiste mit einem antiken Fragment.
Besonders gut gefiel mir eine mittelalterliche Marienfigur. Sie stand vor einer roten Wand. Alle anderen Wände im Pavillon waren weiß. Die Madonna war so aufgestellt, als würde sie gleich vom steinernen Löwensockel kippen. Der Kontrast zwischen dem fein geschnitzten, glatten Gesicht, dem verwurmten und stark zerklüfteten Körper und dem steinernen Sockel war stark. Noch auffälliger und gegensätzlicher waren die Titel, die der Künstler Danh Vo dem religiösen Werk und auch all seinen anderen Werken gab. Es waren ordinäre, grobe Sätze aus dem Horrorfilm „der Exorzist“, der schon zwei Jahre vor Danh Vos Geburt (geb.1975) in den Kinos lief.

Der Pavillon von Uruguay
beeindruckte mich stark. Als ich eintrat, sah ich nur einen großen, leeren, weißen Raum. Eigenartig und komisch kamen mir die Besucher vor, die, fast mit der Nase an der Wand, den Putz betrachteten. Spinnweben meinte ich zu erkennen. Erst mit meiner Brille sah ich, dass an den Wänden an die hunderttausend, winzige Scherenschnitte aus weißem Papier klebten. Drei Monate dauerte es, bis der Künstler Marco Maggi (geb. 1957 in Montevido) die Klebezettel geschnitten hatte und zwei Monate soll es gedauert haben, bis die Wände von oben bis unten beklebt waren. Die Motive sahen aus wie Statik- oder Schaltpläne. Hin und wieder standen Millimeter dünne Stege oder Punkte etwas ab, sodass der Schatten dunkle Linien und Flächen dazu zeichnete. Der Künstler nannte sein Werk „Global Myopia“, Kurzsichtigkeit. Was er damit aussagen wollte, verstand man. Wie Kurzsichtige mussten sich die Besucher auf ein Detail konzentrieren. Der Künstler schärfte den Blick für das Unsichtbare, Unbedeutende und das Kleine. Das jetzt oft gebrauchte Wort Entschleunigung fiel mir ein.

Der deutsche Pavillon
war nicht leer, aber für manche Menschen versperrt. „Kein Zutritt für Besucher mit Rollstuhl, Kinderwagen, kurzem Atem oder schweren Beinen“, stand zwar nicht am Pavillon, aber es war so.
Die Ausgeschlossenen konnten den 1939 umgebauten Prunkbau der Nationalsozialisten von außen ausgiebig betrachten. Sie konnten Ausschau halten nach der angeblichen Werkstatt auf dem Dach. Vielleicht muss man nur lange genug hochschauen um raus zu bekommen, dass sie existiert.
Wir, die Privilegierten, durften uns durch einen versteckten, seitlichen Eingang zwängen und weil wir nicht all zu dick waren, kamen wir über eine enge, hohe Treppe in den ersten Ausstellungsraum. Oben angekommen, nach Luft hechelnd, setzte ich mich erst mal. Ich ersparte mir einen Rundgang und betrachtete von meinem Sitzplatz aus die ausgestellten Zeitungsseiten.

Wieder abwärts ging es zu einem futuristischen Videoraum. Die reale Welt hatte ich nun verlassen. Zum Glück gab es in der virtuellen Welt auch noch bequeme Liegestühle. Ich konnte Puste fürs erneute Hochgehen in die Wirklichkeit sammeln. Einen Ausgang gab es unten nicht.

Den Abstieg zu einem weiteren Raum, wieder ohne Ausgang, ersparte ich mir. Von oben sah ich sowieso nur kaputte Bodenfliesen.
Die Ideen und die Absichten der Künstler waren gut, etwas zu gut. Indem sie ein zweites Stockwerk einbauten und einen Teil des Bodens einreißen ließen, verlor der Raum das Prahlerische, Bombastische.
Mit den Fotos zeigten sie, wie ernst wir Deutsche die Probleme der Flüchtlinge nehmen, und mit den Videoraum, wie topaktuell und fortschrittlich wir sind.
Zu deutlich das Motto: wir sind bescheiden, problembewusst und zukunftsweisend.

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Vom Museum „Punta della Dogana“ zum Lenbachhaus

Punta della Dogana

Tano und ich gehörten zu den ersten Besuchern des Museums „Punta della Dogana“, das 2009 von Francois Pinaults in Venedig eröffnet wurde. Wir waren damals so begeistert, dass wir es jetzt zum dritten Mal besuchten.

Wiederum hat uns der Bau sehr beeindruckt. Der japanische Architekt Tadao Ando hat das Zollhaus aus dem 17. Jahrhundert umgebaut. Er stellte, einfach gesagt, einen zweigeschossigen Beton-Bau in das alte Gebäude hinein. Die alten Mauern aus roten Ziegeln und die wuchtige Holzbalkendecke harmonieren wunderschön mit dem blank polierten Beton des Neubaus. Die halbrunden Fenster zum Canal Grande und zum Meer wirken wie gemalte Bilder.

Im Zweijahresrhythmus wechseln die Ausstellungsstücke. „Primateria“ las ich als Titel auf dem Handzettel des Museums. Erst Daheim konnte ich es als Prima Materia entziffern.

Da wurde mir erst klar, wie großartig Roni Horns Installation „Well and Truly“ (2009/10) in das Konzept der Kuratoren passte. Bei ihren halbkugeligen Glasblöcken meinte man, über den Rand gefüllte Schalen mit Wasser zu sehen. Ich hatte Angst daran zu stoßen, als könnte beim leichtesten Hauch das Wasser überschwappen.

Ebenso aus Glas waren die Kristallschädel von Sherrie Levine. Ihre durchscheinenden Totenköpfe waren einzeln in Vitrinen ausgestellt. Ob jeder gleich oder anders geformt war, konnte ich nicht ergründen.

Vor kurzer Zeit las ich einen Artikel über die Appropriation Art (bewusstes Kopieren). Sherrie Levine wird dieser Kunstrichtung zugeordnet.

Künstler bleiben in meinem Gedächtnis, wenn ich deren Werke in einer anderen Ausstellung wieder entdecke. So ging es mir eine Woche später im Lehnbachhaus, als ich ähnliche Selbstbildnisse und fast gleiche Zahlenbilder von Roman Opalka wie in Venedig sah.

Er zeichnete mit weißer Farbe tagebuchartig Zahlen von 1 aufwärts, auf immer helleren Untergrund. Die Bilder, die ich sah, waren schon weiß auf weiß. Vorletztes Jahr starb der Künstler.

Sollte ich wieder nach Venedig kommen, Punta della Dogana möchte ich noch einmal sehen.

 

Lenbachhaus

Die Jahreskarten für das Lenbachhaus hatten wir schon im Januar gekauft, als das Lenbachhaus noch im Bau war. Vier Jahre dauerten die Restaurierungen durch den Architekten Normen Foster.

Am bisher heißesten Tag des Jahres machten wir uns auf den Weg. Schon mal gut war die angenehme Temperatur in den Zimmern. Eigentlich wollte ich hauptsächlich auf die Gestaltung der Räume achten, vergaß es aber. Zu schön war das Wiedersehen mit den bekannten Bildern der Künstler des Blauen Reiters und der neuen Sachlichkeit. Ich fand Hubbuch-Ölbilder und ein Bild von Willi Geiger, dem Vater von Rupprecht Geiger. Von beiden Künstlern hängen Grafiken in unserem Wohnzimmer.

Im Raum, in dem die Zahlenbilder von Roman Opalka hingen, waren Arbeiten von On Kawara. Auf schwarzen Schachteln stand jeweils ein Datum, z. B. 14.Nov.68. Einige dieser Datumsbilder sah ich schon im MMK, dem Museum für moderne Kunst in Frankfurt. Ich hatte gelesen, dass es bisher schon 2000 Datums-Bilder gibt. Das Thema „das Vergehen der Zeit“ und die Umsetzung durch den verstorbenen Opalka und den 80 jährige Kawara gefallen mir und berühren mich.

Es gäbe soviel zum Erzählen: Erwin Wurms witzige Gurke, Gerhard Richters schwindelerregendes Streifenbild „Strip2012“, Ceal Floyers bunte Punkte „Ink on Paper“ und, und …

Gut, dass wir eine Jahreskarte haben.

Biennale Venedig 2013

Drei Kilo und 284 Gramm „Katalog“ schleppte Riccardo vom Büchershop der Biennale zu unserem Hotel in Mestre. Der Katalog ist in zwei Bücher aufgeteilt, Hauptausstellungen und Länderbeiträge. Ich hätte ihn nicht gekauft. Doch ich war dann doch sehr froh, nachschauen zu können. Es gab viel zu viel zum Sehen, manches habe ich gleich vergessen und manches übersah ich.

Massimiliano Gioni, der Biennaledirektor, nannte die zentralen Ausstellungen in den Giardini und dem Arsenal „Palazzo  Enciclopedico“. Die vielen unterschiedlichen Ausstellungsstücke verwirrten mich. Fotos von Familienalben und afrikanischen Haarfrisuren, eine Performance vor Tafelzeichnungen von Rudolf Steiner, Häuser für eine Spielzeug-Eisenbahnlandschaft und eine Steinsammlung – ergaben für mich ein Sammelsurium einer Wunderkammer.

Erst langsam erschloss sich mir Gionis Anliegen, die Frage, was ist Kunst.

Er wählte verstorbene und junge Künstler aus, Bekannte und Unbekannte. Er unterschied nicht zwischen Außenseitern, Autodidakten, Hobbyisten und Berufskünstlern. Es ging ihm um Echtheit und Glaubwürdigkeit, Phantasie und Leidenschaft, um die Suche des Ursprungs der Kreativität. Weg vom Markt und Stargehabe.

Für mich sind es mutige, neu ausgesprochene Gedanken, die Gioni  in einer der größten und bedeutsamsten Kunstausstellung der Welt eindrücklich sichtbar machte.

An dem Tag, als wir heim kamen, las ich in unserer Tegernseer Zeitung ein Interview mit dem Organisator der Bayrischzeller Kunstausstellung mit der zur Biennale konträren Überschrift „Hobbymaler haben keine Chance mehr“ und als Schlusssatz „Ich möchte noch mehr namhafte und interessante Künstler einladen.“ Interessant kann man gelten lassen.

 

Zurück von der Biennale…

SS Hangover (Performance von Ragnar Kjartansson)Um zum ersten Mal die Biennale in Venedig zu erleben, brachte ich es übers Herz mein schönes Tal für mehr als einen Tag zu verlassen. Ich muss sagen: der Besuch hat sich sehr gelohnt… Nun bin ich mit einem unvergesslichem Eindruck aus tausenden Impressionen im Gepäck wieder zurück.
Vogel besucht den Spanischen Pavillon

Wer die Biennale auch besuchen will, dem rate ich: zwei Tage sind viel zu kurz! Die schiere Menge an Kunst und deren unglaubliche kreative Energie ließen mich schon bald in einem fast rauschartigen Zustand durch die Hallen und Pavillons taumeln. Keine Frage, der Kurator Massimiliano Gioni hat in meinen Augen seine Aufgabe mit dem Palazzo Enciclopedico mehr als erfüllt: weg vom Establishment, den großen Namen und Superlativen (oder den „Schreiand’n Sach’n“ wie es meine Mutter gerne in schönem Bayrisch formuliert) hin zum eigentlichen Wesen der Kunst wie es sich manchmal nur dort zeigen kann wo die Regeln des Marktes keine Rolle spielen.
Viele Werke empfand ich als sehr intim und bewegend, zeigten sie doch einen tiefen Einblick in die Welt des Künstlers, so wie er wohl nie für solch einen Rahmen bestimmt war. Auch zum Beispiel das komplett ausgestellte Comicheft der Schöpfungsgeschichte, eine Steinsammlung, oder das Namens gebende Modell einer Enzyklopädie für das gesamte Wissen der Menschheit hätte man nicht in solch einer Ausstellung erwartet.
Für mich eine Huldigung an die Kreativität oder künstlerische Schöpfungskraft an sich, eine Ausstellung die Antworten nach den tiefen Fragen der Kunst für jeden Suchenden bereithält.Rostige Säule im Arsenale

Ich unter Ai Waiwai's InstallationNach diesen bewegenden Eindrücken (man darf sich die enorme ÜberWeltDichtheit 😉 vorstellen) ging es weiter auf eine Weltreise durch die Pavillons der beteiligten Länder auf diesem grandiosen „Rummelplatz“ der Kunst…

Bild 1: SS Hangover (Performance von Ragnar Kjartansson)
Bild 2: Vogel besucht den Spanischen Pavillon
Bild 3: Rostige Säule im Arsenale (Kein Ausstellungsstück sondern Teil des Gebäudes)
Bild 4: Ich unter Ai Waiwai’s Installation im Deutschen Pavillon

 

 

Wieder zurück in Bayern Ist dieses Bild entstanden, höchstwahrscheinlich inspiriert durch die überfüllten venezianischen Fähren:

Bummelboot
Bummelboot (Bleistift auf Papier)