Die spontane Linie

Tona erzählt bei der Vernissage, wie sie die Arbeit von Riccardo sieht.

Die spontane Linie

Ich möchte ein wenig über Riccardos Kunst reden, vor allem über seine Zeichnungen. Sie gefallen mir besonders gut.
Vielleicht liegt es auch daran, dass ich auch sehr gerne zeichne. Ich mache aber meistens nur Skizzen für meine Tonfiguren. Wenn ich eine Idee habe, kritzle ich so lange herum, bis ich weiß, wie ich sie modellieren könnte. Dann fängt bei mir erst die richtige Arbeit an. Da brauche ich dann Zeit und kämpfe mit dem Ton und seinen Tücken.
Ganz anders bei Riccardo. Er macht keine Skizzen. Seine Zeichnungen sind keine Entwürfe, sie sind die Arbeit. Er fängt gleich auf einem guten Blatt Papier an zu zeichnen. Er könnte ja mit leichten Strichen etwas andeuten. Nein, macht er nicht. Er benützt keinen Radiergummi. Freilich, bei den Tuschestiften könnte er ihn sowieso nicht benützen.
Schon die erste Linie, die er zieht, bleibt bestehen. Jeder Ringel, sogar ein Punkt hat eine Auswirkung.
Der Maler dagegen kann seine Arbeiten verändern, übermalen, er kann zurücktreten und die Formen und Farben begutachten. Ich kann den Kopf der Plastik in alle Richtungen versetzen solange der Ton feucht ist.
So wie Riccardo zeichnet, ist das weniger eine manuelle Tätigkeit, sondern viel mehr eine geistige Arbeit (wenn man so sagen kann). Es kommt von innen heraus.
Wenn er eine Linie zu lang zieht, denkt er blitzschnell um. Dann wird’s halt eine schlanke Figur. So spontan wie Riccardo zeichnet, ist gut. Er kann sich daher sehr direkt und unmittelbar ausdrücken. Der Stift ist ja dazu das beste Mittel. Der Weg vom Kopf zur Hand und dem Stift ist ein kurzer Weg. Auch wenn er so ungebremst malt, sind es keine wilde Fahrer. Oft setzt er, fast meditativ, Linie neben Linie, dass die Zeichnung eher einer Malerei gleicht.
Ich vermute, dass er sich am Anfang der Zeichnung gar keinen Plan macht. Es scheint mir, als würde er sich vom weißen Papier anregen lassen oder von der Farbe des Stiftes, dem Augenblick oder der Seelenverfassung.
Er selbst schrieb einmal: Auch wenn ich den Stift halten muss, muss ich ihn doch frei lassen, um der Kunst selbst ihren Raum zu geben, Sie lässt sich nicht kontrollieren.
Ich glaube, eine ausgebaute Strategie würde seine Schaffenskraft behindern oder vielleicht, ich weiß es nicht, ist alles gerade umgekehrt.
Intensität oder Intention. Ich weiß es nicht.
Riccardo gibt zu seinen Bildern selten eine Erklärung ab. Viele Bilder haben keinen Titel oder bekommen ihn erst später. Er meint, seine Zeichnungen sind offen, dass man sie unterschiedlich lesen kann. Er findet es gut, wenn jemand etwas sieht, was er in seinem Bild noch nicht kennt.
Als Rätsel sehe ich seine Bilder auch nicht. Manche Zeichnungen verstehe ich erst auf dem zweiten oder dritten Blick. Manche faszinieren mich einfach, ohne, dass ich sie durchschaue.
Wenn ich versuche, Riccardos Kunst in bekannte Muster einzuordnen, tu ich mir schwer. Wenn ich denke, sie sind surrealistisch oder ähneln der Arte Brut, verwerfe ich den Ausdruck gleich wieder. Ich weiß nicht, ob es eine Bezeichnung zwischen Gegenständlich und Abstrakt gibt, zwischen Normal und Phantasie, oder zwischen einem asiatischen Zenbild und einer Karikatur.IMG_0776
Am ehesten denke ich, dass seine Urgroßeltern die Arte Povera war und er ein Enkel der italienischen Transavantgarde ist.
Der jetzige Februar ist ein ganz besonderer Monat. Genau vor 100 Jahren sind in Zürich mitten im ersten Weltkrieg fünf Künstler beieinander gesessen, ein Schweitzer, ein Deutscher, ein Deutsch-Franzose und zwei Rumänen, und haben die Welt der Kunst verändert. Der Dada war geboren. Der Deutsche war Hugo Ball, der genau 100 Jahre vor Riccardo zur Welt kam. Übermorgen wäre sein Geburtstag.
Was mir noch einfällt, Milazzo reimt sich auf Picasso.

Linien die fesseln – ein Bericht in der Tegernseer Zeitung

Scan_20160224 (3)Auch in der Tegernseer Zeitung gab es gestern einen einfühlsamen Bericht über Riccardo und die Vernissage. Geschrieben hatte ihn die Journalistin Sonja Still, die sich bei der Eröffnung der Ausstellung viel Zeit für Riccs Bilder nahm.
Sonja Still ist bekannt durch ihre Tätigkeit vor allem für öffentlich-rechtliche (WDR, BR, NDR, arte), aber auch für private Sender (Vox). Im Printbereich arbeitet sie für Zeitschriften und schreibt Reiseführer (Landlust, Merian).
Das Foto ist von Thomas Plettenberg http://thomas-plettenberg.de/

Bericht der Online-Zeitung „Kulturvision“ über Riccardos Ausstellung


24.02.2016 – Ausstellung in Rottach-Egern
Kunst ist immer erhaben
Schwere Tüten, Rotes Tuch, Gewitterwolken, Eigenlob. Die Bilderwelt von Riccardo Milazzo ist so vielfältig wie deren poetischen Titel. Mit „NUMBER ONE“ gibt es nun die erste Einzelausstellung des Rottacher Künstlers im Seeforum zu sehen.Silvias wunderschöne lange Haare

Alles beginnt mit einer Linie, die verschlingt sich mäandernd zu einer zweiten, wird ein Herz, eine Frau, ihr Haar. Das Gesicht bleibt ganz Linie, das Haar füllt sich mit den Empfindungen, Gedanken, Träumen der Frau. „Wimmelbilder“, sagt Riccardo, würden manche Besucher diese Art seiner Bilder nennen, so wie in den Kinderbüchern. Und tatsächlich wimmelt es in Silvias Haaren, wirbeln Ideen, Wünsche, Fragen, Erinnerungen durcheinander, machen die Frau aus, die Silvia heißt, deren Züge kühn und klar sind und dennoch vage bleiben. Die Wimmelbilder sind mit Bleistift gezeichnet, fein und präzise. Der Graphit gestattet Schattierungen. Plastisch treten kleine Details zutage, Muscheln im Sand etwa. „Da hatte ich Sehnsucht nach dem Meer“, sagt Riccardo.

Seine Bilder entstehen während des Malens. Er beginnt mit einer Linie und schaut, was sie mit ihm macht. Je nach Stimmung entstehen sehr komplexe Bilder, in denen ein ganzer Kosmos steckt, voller Details. Dann wieder sehr klare, fast an Piktogramme erinnernde Grafiken aus wenigen Strichen von starker Symbolkraft. Mit nur einer Linie stellt er Zusammenhänge dar, zwischenmenschliche Befindlichkeiten, Liebe, Kommunikation, Respekt, wie etwa in der Serie „Group Dynamics“. In den letzten Monaten sind viele Zeichnungen dieser Art entstanden. Das heißt aber keineswegs, dass er sich darauf jetzt festlegt. Alles kann gleichzeitig entstehen. Er folgt seinen Empfindungen, lässt sich dorthin leiten, wohin die Kunst ihn führt. „Manche Leute nennen es Kommunikation zwischen Natur und Mensch, Universum und Mensch, oder Gott und Mensch“, erklärt er. Das sei das Geheimnis, die Mystik an der Kunst.

Befreiung von der Illusion, Kunst zu kontrollieren

Die Natur selbst schafft wunderschöne Kunst. Nicht jeder vermag das so wahrzunehmen. Aber auch Werke der Korrosion und des Verfalls sind Zeichen der Schönheit, wie etwa die zerfressene Patina einer rostenden Tonne oder eine Mauer, von der Farbe abblättert. Riccardos künstlerische Auge erfasst solche Details liebevoll, sie fließen ein in seine Arbeiten. Das sieht man insbesondere an den großformatigen Acrylbildern, die sich so gänzlich unterscheiden von den feinen Bleistift- und Pigmenttuschezeichnungen. Die Acrylbilder sind Sommerbilder. Sie entstehen in der Garage, weil er dann Platz braucht für ausladende Bewegungen, für ein Loslassen von jeglicher Art von Kontrolle, die man vielleicht über das entstehende Bild übernehmen wollte. Statt dessen überlässt er sich ganz der Intuition, befreit sich von der Illusion, der Kontrollierende zu sein. „Der Künstler ist selbst Teil des Ganzen“, sagt er, und die Kunst sei erhaben, ein nicht kontrollierbares, göttliches Prinzip.

Spielraum für verschiedene Interpretationsweisen

Es ist seine bescheidene, feinfühlige Art, ganz in den Hintergrund seiner Kunst zu treten, damit sie wirken kann. Seine Bilder sollen so offen sein, dass sie unterschiedlich gelesen werden können. Riccardos Familie ist ein wichtiger Hintergrund, weil man sich gegenseitig unterstützt und inspiriert. Die Künstlerfamilie Milazzo mit Mutter Waltraud, Vater Gaetano, Ricc und Schwester Pina hatte 2014 zum ersten Mal eine gemeinsame Ausstellung in Agatharied.

Ja, und dann ist da noch der Tegernsee selbst, Ort der Ruhe, an dem der Künstler Inspiration findet und Kraft aus der Stille gewinnt. Zur Vernissage am Samstag im Seeforum waren viele Besucher gekommen, Riccardos erste Soloausstellung zu sehen und die Familie Milazzo zu begrüßen. Die Ausstellung ist noch bis zum 28.2.2016 jeweils 14-18 Uhr im Seeforum Rottach-Egern zu sehen.

Text/Foto: Ines Wagner