Mailand: Den Planet ernähren, Energie für das Leben
Ich weiß nicht, an was es lag. Lag es daran, dass es der Freitag nach dem Feiertag Christi Himmelfahrt war, oder gab es einen Tag der Schulkinder, der Busunternehmer, der Betriebe. Oder war es nur ein ganz normaler Tag der Expo in Mailand.
Scharen von Menschen zogen zum Ausstellungsgelände. Von freundlichen Hostessen wurden wir angewiesen, mal umgeleitet, mal gestoppt, nach links oder nach rechts gelenkt, um dann in einer Besucherkolonne vor den Sicherheitsschleusen warten zu dürfen. Inzwischen waren eineinhalb Stunden vergangen.
Aufatmend standen wir endlich auf der anderthalb Kilometer langen Hauptstraße der Ausstellung. Sonnensegel waren über die ganze Strecke gespannt. Für uns ein Schutz gegen kurze Regenschauer.
Ich war aber auch irritiert und ratlos. Die ganze Welt hier versammelt zu sehen und besuchen zu können, brachte mich durcheinander.
Unter dem Wort Pavillon stellte ich mir keine weißen Zelte vor, aber auch keine so gigantische Bauten. Es gab Häuser in postmodernen Formen. Sie sahen aus wie ein umgestürzter Korb, ein Sandberg, ein kupferner Kessel, ein Reisbauernhut, ein Segelschiff. Minimalistische Fassaden aus Obstkisten, Gittern und Rippen wechselten ab mit spektakulären Lösungen aus Pflanzen, Holz oder Bambussäulen.
Tano und ich entschieden uns als erstes für den deutschen Pavillon.
Aus der Zeitung wusste ich schon, dass Lennart Wiechell vom Münchner Architektenbüro Schmidhuber aus München der leitende Architekt war. Seine Idee war eine begehbare Landschaft, aus der Ideenkeimlinge in Form von stilisierten Pflanzen heraus sprießen, die sich dann zu einem futuristischen Membrandach mit Photovoltaik-Modulen entfalten.
Zunächst sah ich nur eine lange Menschenschlange, der wir uns anschlossen und
langsam vorrückten. Eine charmante Hostess drückte uns eine zusammengeklappte Karte in die Hand. Tano fand sie praktisch, um damit Prospekte aufzubewahren. Dass wir nur mit diesem Stück Pappe die Ausstellung richtig erleben konnten und die Karte Seedboard hieß, wussten wir nicht. Sobald man das Seedboard an eine vorbestimmte Stelle hielt, erschien auf magische Weise eine Projektion auf der Karte. Durch Drehen und leicht Hochstellen konnten Filme mit unterschiedlichen Informationen zum Thema „Fields of Ideas“ ausgewählt werden. Es ging um den Umgang mit der Natur, um Wasser, Klima und den Boden. Ich fand das Ganze einerseits gigantisch und topaktuell aber anderseits zu pädagogisch aufbereitet. Es war spielendes Lernen für Schulkinder.
Am Ende der Ausstellungstour erlebten wir eine ganz besondere Show. Ein Gitarrist und ein Beatboxer animierten uns Besucher zum Mitmachen. Wir imitierten Geräusche der Natur. Als ich wie ein Schaf blöken sollte, meckerte ich. Wahrscheinlich klang es besonders belämmert, weil die Besucher lachten. Am Schluss wurde unser Seedboard ein Musikinstrument, ein Schlagzeug. Vielleicht wird dieses Stück Papier nach der Expo als Andenken aufgehoben.
Gleich nebenan war der amerikanische Pavillon. Der Bau ähnelte einer großen Scheune mit einem breiten, offenen Eingang zum ersten Stock. Das war gut, es bildete sich keine Warteschlange. Es war aber auch nicht viel zu sehen. Der Glanzpunkt war eine Seite seiner Außenfassade. In Größe eines Fußballfeldes war an der Wand vertikal ein Garten angelegt, in dem Pflanzen aus allen Bundesstaaten Amerikas wuchsen.
Polen stellte sich der Welt als Obstgarten vor. Als Stilelement der Architektur wählten sie Obstkisten und symbolisierten damit ihre wirtschaftliche Kraft. Das Land ist Weltmarktführer im Export von Äpfel und Beeren. In der Presse wurde oft berichtet, wie schwer das russische Einfuhrverbot für Obst die polnische Landwirtschaft belastet. Russland war Polens größter Abnehmer.
Natürlich wollte Tano noch den italienischen Pavillon besuchen. Das scheiterte aber an der dreireihigen Besucherschlange vor dem Einlass. Wir trösteten uns in einem Probierladen für italienischen Schinken. Auf einem Kartontablett lagen schön garniert die verschiedenen Sorten der Regionen. Und weil das Wetter an diesem Tag sehr launisch war, kam ein ganz kurzer, aber heftiger Windstoß und wirbelte den Schinken hoch in die Luft. Weg war der Schinken und weg war die Zeit, die wir noch zur Verfügung hatten. Sechs Stunden Aufenthalt waren ausgemacht.
Am Schluss merkte ich, dass ich kein einziges Foto gemacht hatte. Schnell gingen wir noch zum „Baum des Lebens“, dem Symbol der Expo. Marco Balich, ein italienischer Künstler, hat sich die 35 Meter hohe Installation ausgedacht. Vorbild waren Zeichnungen, die einst Michelangelo für den Kapitolsplatz in Rom entwarf.
Der Baum des Lebens wird vielleicht einmal, wie der Eiffelturm in Paris, Wahrzeichen von Mailand.
Viele Bauwerke werden nach der Expo nicht wirtschaftlich abgebaut werden, obwohl Nachhaltigkeit ein Thema der Expo war. Nach der Demontage des deutschen Pavillons wird das Holz zu Pellets gepresst und verheizt werden.
Nachhaltig wird die Expo für uns im Kopf bleiben, obwohl wir von den 54 Nationenpavillons nur drei von innen sahen und nur einen Gesamteindruck mit nach Hause nehmen konnten. Namen der Architekten, wie Normen Forster, Italo Rota, Carlo Ratti, Herzog & de Meuron und Daniel Libeskind, die mir schon öfters auffielen und hier dabei waren, werden sich noch stärker in meinem Gedächtnis festigen. Wir waren stark beeindruckt. Über den Sinn und Nutzen einer Weltausstellung muss ich erst noch nachdenken.