Musée Picasso
Im Oktober 2014 wurde das Picasso-Museum in Paris nach fünf Jahren Umbauzeit und mit doppelt so vielen Werken wieder eröffnet. Tano las es damals in der Zeitung und meinte, das sehen wir uns einmal an.
Am 20. März, meinem Geburtstag, saßen wir im Bus nach Paris. Es war ein Freitag, der Beginn des Frühlings und ein Tag mit einer Sonnenfinsternis.
Am übernächsten Tag standen wir dann in der langen Schlange vor dem Hôtel Salé im Stadtteil Marais und warteten 50 Minuten lang bis wir nach einer Taschenkontrolle eingelassen wurden. Wir versuchten erst gar nicht, unsere Taschen und Mäntel abzugeben, wegen der nächsten Warteschlange, und drängten uns sofort zwischen die Scharen von Besuchern.
Überwältigend, großartig und eindrucksvoll waren die Werke.
Ich freute mich über die Bilder, die ich schon aus Büchern kannte: die Gitarre von 1912, die laufenden Frauen am Strand (1924), das Massaker in Korea (1951) oder das Frühstück im Freien (nach Manet 1960). Es war faszinierend, Picassos Ziege von 1950 zu sehen, wie er sie aus Keramiktöpfen, Karton, Gips, Metall und Holz geformt hatte. Ein geflochtener Korb wurde zum Bauch und ein Weinstock zu den Hörnern. Interessant fand ich, wie der nicht sehr große Totenschädel „Tête de mort“ von 1943 einsam auf einem weit ausladenden, ganz niedrigen, weißen Sockel aufgestellt war.
Schon im zweiten Stockwerk wurde mir der Mantel zu warm, die Tasche zu schwer. Meine Aufnahmefähigkeit nahm ab.
Es fehlten mir auch die nötigen Erklärungen. Ich erkannte nicht das Konzept der Präsentation. Mal waren die Werke zeitlich geordnet, mal thematisch gehängt. Der Mini-Gratis-Führer auf Französisch oder Englisch nützte wenig. Eigentlich hatte ich gar keine freie Hand dafür, die benötigte ich zum Auf- und Absetzen meiner Brille.
Tano war ausdauernder. Er konnte ein Bild lange betrachten und holte mich manchmal zurück. Ohne ihn hätte ich ein Bild, gemalt im brutalen Kontrast mit krassen roten, grünen und blauen Farben, nicht als Kreuzigung (1930) erkannt und die wütende Frau darauf nicht als Maria.
Den Stierkopf „Tête de taureau“ von 1942, aus einem Fahrradlenker und -sattel, hätte ich so hoch aufgehängt auch übersehen.
Frisch und wach wurde ich ganz oben unter dem Dach mit dem alten Gebälk. Dort sahen wir Picassos eigene Sammlung: Bilder von Renoir, Degas, Cézanne, Matisse und von Rousseau, sowie Masken aus Afrika oder Ozeanien.
Ein Tag vorher – Palais Tokyo
Vom Place de la Concorde aus gingen wir der Seine entlang zum Palais Tokyo, dem größten Zentrum für zeitgenössische Kunst in Europa.
Ungewöhnlich ist dort die lange Öffnungszeit bis Mitternacht. Für uns prima. Statt dem Abendessen konnten wir Kunst genießen.
Meine Erwartung war riesig und wurde nicht enttäuscht.
Gleich beim Eintreten bannte uns ein gigantisches, raumfüllendes Werk. Die freistehenden, weißen Säulen verbogen sich nach oben und verwandelten sich zu braunen Baumstämmen, deren Äste sich an der Decke ineinander und miteinander verbanden. Die angetackerten Holzspäne wirkten wie Rinde. Der Künstler Henrique Oliveira ist 1973 geboren.
Mehr als doppelt so alt, 90 Jahre, war der griechische Bildhauer Takis. Doch ebenfalls aktuell und neuartig sind seine Arbeiten, die auf dem Magnetismus, den unsichtbaren Kräften basieren.
Tano konnte sich von seinen Klanginstallationen gar nicht mehr trennen. Ein Pendel stieß auf eine Draht-Saite, die auf einer weißen Leinwand aufgebracht war. Klingende Bilder, jedes mir einem anderen Klang; es war wohltuend und schön.
Ein außergewöhnliches Erlebnis war es, die 50-jährige Bridget Polk aus New York persönlich kennen lernen zu können. Sie stellte grobe, kantige Felsbrocken und glatte Steine in unterschiedlichen Größen aufeinander. Es schien, als ob sie es nicht schaffen würde, einen großen runden Stein auf einem schlanken Steinturm auszubalancieren. Sie gab nicht auf – am Ende stand er obenauf, als wäre er fest betoniert.
Wir waren voll zufrieden. Weitere Überraschungen erwarteten wir gar nicht mehr. Doch es gab noch eine Fortsetzung.
Der Raum von Jerry Gretzinger war ein Traum. Der Künstler, zwei Jahre älter als ich, kam aus den USA. Er malte Fantasie-Landkarten mit Straßen, Bergen, Orten und Flüssen auf DIN A4 Blättern, die sich passgenau zu einer großen Fläche verbinden lassen. Die Wände und die Böden waren damit tapeziert. Auf einer Seite zählte ich so an die 300 Blätter.
Ein Bild mit dem Titel „Blauer Montag“ von George Widener fiel mir auf. Es gefiel mir und ich fotografierte es. Erst Daheim las ich beim Sender 3Sat einen Artikel mit dem Titel „Wahnsinnskunst“. Der US-amerikanische Künstler, 1942 geboren, leidet am Asperger-Syndrom.
Ich zitiere eine Passage: „Dem mathematisch Hochbegabten war lange Zeit die Welt der Zahlen näher als die der Menschen. In der Welt der Kunst hat er ein Zuhause gefunden, die Kunst hat ihn gerettet.“
Ich muss noch von Theo Jansens „gehenden Strandbeest“ erzählen. Es ist ein zwei zu vier Meter riesengroßes, Tausendfüßler ähnliches Gebilde aus Plastikrohren, Kabelbindern, Nylonfäden und Klebebändern. Es wird allein vom Wind oder Druckluft zum Gehen bewegt. Nach einem Physikstudium entwickelte der niederländische Künstler bewegliche Kunstwerke. Er ist 1948 geboren.
Der Raum des 43-jährigen deutschen Künstlers Michael Riedel aus Frankfurt geht mir auch nicht aus dem Sinn. Mit Ringen und Strichen, ich las, es seien Buchstaben aus dem Wort „lool“, hat er die Wände und den Boden beschrieben, dekoriert oder besser gesagt installiert. Dies erinnerte mich entfernt an die schwarz-weiß gestreifte und gepünkelte Cafeteria in der Biennale Venedig, für die Tobias Rehberger 2009 den Goldenen Löwen gewonnen hatte. Die Buchstaben von Michael Riedel sind ähnlich, auch schwarz auf weißem Untergrund.
Bald hätte ich es vergessen. In einem Raum hingen an der Wand in einer langen Reihe exakt der Größe nach alte Hämmer. Es sah gut aus. Auf einer Palette waren die Porzellanfarben so angeordnet, als wäre es nicht Material sondern schon das Kunstwerk. Später verbogen sich zwei Hammerstiele spiralförmig ineinander, dass man nicht mehr von einem Werkzeug sprechen konnte. Ich verstand, dass das Verhältnis zwischen Handwerker und Künstler zwischen Technik und Kunst fließend ist.
Die Zeit war um. Gegenüber dem Palais blinkerte der Eifelturm. Der Bus wartete um 22 Uhr auf dem Place de la Concorde auf uns.
Noch ein Tag zurück.
Auf der Hinfahrt war die erste große Buspause in Metz. Auf dem Programm stand: „Die bezaubernde Hauptstadt Lothringens wird wegen der zahlreichen Bauwerke aus goldgelbem Stein auch „Goldene Stadt“ genannt. Besonders sehenswert sind die „Laterne Gottes“, die gotische Kathedrale St. Etienne mit ihrer 6.500 qm großen, von Chagall gestalteten, wunderschön leuchtenden Fensterfläche und das Centre Pompidou – die Außenstelle des Pariser Kunstmuseums.“
Auf jeden Fall wollte ich das Centre Pompidou sehen, wenigstens von außen. Ich war neugierig auf das Dach, das an einen chinesischen Hut erinnert. Es wurde von dem japanischen Star-Architekten Shigeru Ban und dem in Marokko geborenen Jean de Gastines entworfen.
Leider parkte der Bus in der Nähe vom Münster und der Weg zum Museum war zu weit und die Zeit zu knapp.
Ich tröstete mich etwas damit, dass wir in Ruhe die Glasfenster betrachten und langsam den Münster umrunden konnten.
La Dèfense
Eine Touristenattraktion in Paris ist das La Dèfense. Zwischen den Hochhäusern soll es insgesamt 70 Kunstwerke geben.
Wir sahen nur den Agambrunnen mit den bunten Mosaiken von Yaacov Agam aus Israel.
Die „Rote Spinne“ von dem bekannten, amerikanischen Künstler Alexander Calder war nicht zu übersehen. Sie heißt aber auch die „Große rote Stabile“, da der Künstler hauptsächlich durch seine Mobiles bekannt ist.
Die Betonskulptur von Miro mit den kräftigen Grundfarben rot, blau und gelb hebt sich stark von den grauen Hochhäusern und den glänzenden Fenstern ab.
Der Daumen von César, eine monumentale Bronzeskulptur „Le Pouce“.
Dass alles so gut verlief, haben wir hauptsächlich unserem Busfahrer Heinrich zu verdanken, der zugleich Fremdenführer, Kaffeekocher, Würstlwarmmacher und Tourenverkäufer war. Gut für mich war die große Aufschrift „Sammüller“ auf dem Bus. So sah ich schon von weitem, dass wir auf der richtigen Zielgerade waren.